»Raben«: Clevere Sprechvögel
Wer ein Pferd wiehern hört, könnte sich täuschen. Vielleicht ist es ein Rabe, der neben einer Koppel nistete und die Laute von Pferden in seine Vogelsprache aufgenommen hat. Auch hinter dem Quaken eines Frosches könnte ein Rabe stecken. Selbst beim »Plopp« eines Tennisballs. Raben sind in der Lage, täuschend echt Laute aus ihrer Umwelt zu imitieren. Eigentlich gehören sie zu den Singvögeln, doch wer ihre Rufe im Ohr hat, etwa das raue »rap« oder »haa! – haa! – haa!«, der stimmt sicher zu, dass die Bezeichnung »Sprechvögel« passender wäre.
Der Verhaltensbiologe Thomas Bugnyar stellt in seinem Buch »Raben« den aktuellen Stand der Forschung dar, vor allem seine eigene, die er unter anderem an der von Nobelpreisträger Konrad Lorenz gegründeten Forschungsstelle Grünau im österreichischen Almtal betreibt. Bugnyar ist Professor für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Universität Wien und beschäftigt sich seit 25 Jahren mit den Fähigkeiten von Rabenvögeln, hauptsächlich von Kolkraben, den größten unter ihnen. Eines scheint sicher: Kein Tag mit diesen Tieren ist langweilig, und keine Seite des Buches über sie ist öde, denn Raben und Krähen leben in komplexen Sozialsystemen und sind beeindruckend intelligent.
Von Herbst bis Mitte Februar tüfteln die Wissenschaftler kognitionswissenschaftliche Versuche aus. Danach sind Denkaufgaben fehl am Platz, denn ab da steigt der Testosteronspiegel, dann geht es um Partnerschaft, Nestbau und Brüten. Deshalb liegt in dieser Phase der Fokus auf Untersuchungen zum Sozial- und Familienleben. Die Fragen lauten etwa: Verhalten sich die Elternvögel zueinander anders, je nachdem, ob sie viele oder wenige Junge haben? Wie wirkt sich der Nachwuchs auf die Paarbeziehung aus? Wie oft kraulen sie einander und in welchen Situationen?
Manche Antworten sind bereits gefunden, vieles ist noch offen. Das Schöne an diesem Buch ist, dass wir einen Einblick in die laufende Forschung bekommen und auch erfahren, was schiefgegangen ist. Fast ist man geneigt, selbst Rabenforschung betreiben zu wollen, zumindest die Tiere zu beobachten, zum Beispiel beim Spazierengehen wahrzunehmen, wie vorsichtig sie sind. Das kommt daher, dass sie Aas fressen, sie die Hilfe von Fuchs, Bär, Wolf oder Adler brauchen, die die Haut des Beutetiers zerreißen und den Körper öffnen, was die Raben mit ihren Singvogelschnäbeln niemals könnten. Da ist es sinnvoll, auf der Hut zu sein, denn der Beutegreifer, der das Tier erlegt hat, ist der potenziell Stärkere.
Kaum haben sie ein Fleischstück ergattert, sind sie damit beschäftigt, es in Sicherheit zu bringen, also an möglichst geheimen Stellen zu verstecken. Denn wenn ein starker Vogel wegfliegt, um seine Beute in Sicherheit zu bringen, hat ein kleiner, schwächerer die Möglichkeit, kurz selbst an ein Stück Fleisch heranzukommen. So fliegen die Raben hin und weg und brauchen ein gutes Gedächtnis, um ihre Verstecke wiederzufinden.
Im Hintergrund zu warten und abzuschätzen, wann der richtige Moment ist, die Impulskontrolle, also das herausgerissene Fleisch trotz Appetit nicht sofort zu fressen, die nötige Gedächtnisleistung, die Verstecke wiederzufinden – all das trainiert das Gehirn. Ohne großen körperlichen Aufwand an hochwertiges Futter zu kommen, wirkt also aus evolutionärer Sicht als Selektionsdruck auf die Gehirnleistung der Tiere. Sie werden schlau!
In anderen Situationen hilft es, als Gruppe zu agieren, zum Beispiel bietet die Gemeinschaft Schutz vor dem nachtaktiven Uhu, daher übernachten Kolkraben in Gruppen auf Bäumen. Das räbische Sozialsystem kennt Freundschaft, Verwandtschaft, Partnerschaft und Dominanz. Das geht so weit, dass Raben sich beim Streiten anders verhalten, wenn Publikum dabei ist. Sich mit anderen auseinanderzusetzen, heißt, man muss abwägen, entscheiden, Probleme lösen. Die Hypothese lautet: Je komplexer das Sozialsystem, desto leistungsfähiger ist das Gehirn.
Gegen Ende des Buchs geht der Autor noch auf das Rabenmanagement ein, das in manchen Regionen nötig ist, wenn der Bestand zu hoch ist. Statt die Tiere abzuschießen, helfen kluge Methoden, sie davon abzuhalten, Nester seltener Vögel zu räubern: Man stellt täuschend echte Eier her und füllt sie mit Brechmittel. Die klugen Raben, die sich das gut merken, lassen diese Nester in Zukunft in Ruhe.
Nach den sehr guten Büchern über Rabenvögel von Josef Reichholf, Dieter Glandt, Bernd Heinrich und Cord Riechelmann ist auch dieses empfehlenswert. Leider fehlen Stichwortregister und Literaturangaben.
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