Schicke Chemie
Wie lässt sich mit einem Chemiebuch die Aufmerksamkeit von Laien erhaschen? Schriftsteller Theodore Gray und Fotograf Nick Mann versuchen es mit spektakulären Fotos von saftig grünen Bambusschösslingen, ängstlichen Kätzchen oder Eisen-Schmelzöfen. Dazu mischen sie chemische Strukturformeln, Atommodelle und erklärenden Text. Es macht Spaß, in dem Werk zu blättern. Und genau das ist auch das Erste, das die meisten Leser(innen) tun werden: blättern und staunen, denn im Vordergrund stehen Hochglanzbilder und Illustrationen in satten und kräftigen Farben. In die eigentliche Lektüre werden die meisten erst danach einsteigen.
Der Band handelt über chemische Reaktionen – im Labor, in der Küche, auf der Straße oder in der Natur. Die Lesererfahren etwa, wie in Pflanzen Zellulosefasern wachsen und sich vernetzen, warum »Zauberpapier« sich in Luft auflöst, wie das Klebereiweis Gluten im Brot chemisch aufgebaut ist oder was im Ofen einer Eisenschmelze passiert. Die Beispiele haben oft einen Bezug zum Alltag und dienen dazu, grundlegende chemische Vorgänge vorzustellen und zu erklären.
Schnell, obgleich nicht siedend
Damit eine Reaktion überhaupt in Gang kommt, sind bestimmte Umweltbedingungen erforderlich. Hohe Temperaturen helfen meist. Lebewesen jedoch können darauf nicht setzen – sie können ihre Körpertemperatur nicht beliebig erhöhen und benötigen daher Mechanismen, die auch bei Raumtemperatur gut funktionieren. Deshalb nutzen sie Proteine als reaktionsbeschleunigende Katalysatoren. Um den Lesern etwas über die räumliche Struktur von Proteinen zu vermitteln, habe sich die Autoren eine skurrile Fotomontage ausgedacht. Ein Kätzchen wehrt sich darin fauchend gegen eine riesige Schlange – und das, wie wir im Text erfahren, schnell und erfolgreich, obwohl seine Organe nicht mit siedenden Flüssigkeiten gefüllt sind. Dieses etwas seltsame Bild stellt in dem Buch zum Glück eine Ausnahme dar, die anderen Vermittlungsversuche erscheinen gelungener.
An anderer Stelle erklären die Autoren, wie Gras wächst. Eine vergrößerte Aufnahme aus dem Innern einer Pflanzenzelle zeigt, wie Zelluloseketten entstehen und zusammengefügt werden. Das ist ein eher langsamer chemischer Ablauf – genau wie das Trocknen von Farbe, das Gray und Mann detailliert erklären. Nebenbei erfahren die Leser hier, dass Latexfarbe nicht aus Latexgummi besteht, sondern eine Dispersion von Polymeren wie Acryl in Wasser ist. Und während sich Fingerfarbe für Kinder mit Wasser leicht lösen lässt, ist das bei Latexfarbe, bei der zwei verschiedene Lösungsmitteln nacheinander verdampfen, schon schwieriger.
Spektakuläre Fotos von hochlodernden Stichflammen ziehen sich durch das Kapitel über schnelle Reaktionen. Diese laufen ab, wenn etwa Sauerstoff nicht nur aus der Luft zur Verfügung steht, sondern bereits in das Reaktionsmaterial quasi eingebaut ist. Geldscheine aus Pyropapier beispielsweise fackeln schnell und rußfrei ab; Zauberkünstler benutzen sie gern. Pyropapier besteht aus Nitrozellulose, in der Nitratgruppen verbaut sind. Diese instabilen Molekülteile zersetzen sich, sobald es etwas wärmer wird. Dabei wird Sauerstoff frei, der das Feuer noch mehr anfacht. Ein Prinzip, das früher zu verheerenden Bränden in Kinos führte, denn Zelluloidfilme bestehen ebenfalls aus Nitrozellulose. Bestrahlt von der heißen Lampe des Projektors, konnten sich die Filmrollen leicht selbst entzünden und abbrennen.
Die Stärke des Werks liegt in einer Kombination aus faszinierenden Fotos und erklärendem Text. Es ist allerdings fachlich nicht besonders tiefgründig und verbiegt Sachverhalte gern auch mal ein wenig. Etwa wenn Gray schreibt, dass bei einer Kältepackung die kinetische Energie der Moleküle »irgendwie herausgesaugt« werde (später erklärt er den Prozess vertieft). Wer über einen teilweise amerikanisch-pathetischen Schreibstil in sperriger Übersetzung hinwegsieht, findet ein kurzweiliges, unterhaltendes Werk mit bunten Abbildungen und ansprechend erklärten chemischen Abläufen vor. Das Interesse für die Chemie weckt der Band auf alle Fälle.
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