Buchkritik zu »Regenbogen, Licht und Schall«
Hinter dem etwas konservativ klingenden Titel verbirgt sich eine Sammlung von Beiträgen, die wie ein naturwissenschaftlich-technischer Bildungsgrundriss für den aufgeschlossenen Menschen des neuen Jahrhunderts anmuten, und das in erstklassiger journalistischer Verpackung. Gleich das erste Kapitel über Zeit und Zeitmessung zeugt von eingehender Kenntnis der modernen Metrologie. Im folgenden Kapitel über Schall, Akustik und über die Physik des Hörens blitzt solide Grundlagenkenntnis des Musikfreunds Speiser durch: Vom Glockenton bis zu den Messungen an der Basilarmembran des Ohrs beeindruckt die Zusammenschau der physikalischen Vorgänge. Und wo der Autor an die Grenzen des physikalischen Verständnisses rührt, baut er elegante Brücken zurück ins Alltagsleben. Bei den qualifizierten Ausführungen über Stimmungssysteme würde man gern noch mehr über reine und gleichschwebende Stimmung erfahren, vielleicht auch über physikalische Hintergründe des brillanten Konzertklangs; an manchen Stellen möchte man einer Aussage wie "physikalische Beschreibung nicht möglich" ein stimulierendes "noch" hinzugefügt sehen. Physik kann man aus diesem Buch zwar kaum lernen, aber Speiser vermittelt verblüffend einfach ein Allgemeinverständnis vieler physikalischer Zusammenhänge. Hochinformativ in diesem Sinn ist auch das Kapitel über Farben mit dem bedeutenden Schlusssatz, dass Farben eben nicht nur durch physikalische Gesetze, sondern auch durch biologische Prozesse bestimmt werden. Bei den Kapiteln über Himmelslicht, Gewitter und Regenbogen bin ich besonders angetan von der sorgfältigen Beschreibung sowohl des physikalischen als auch des gesammelten phänomenologischen Wissens. Die Darstellung der Lichtbrechung allein mit Hilfe der geometrischen Optik reflektiert die weise Beschränkung auf Allgemeinverständlichkeit, die sich der souveräne Wissenschaftler leisten darf. Ausdrücklich erwähnenswert ist das Kapitel über das Wasser: Dessen besondere Eigenschaften sind, soweit sie bis vor zwanzig Jahren erforscht waren, samt ihren vielfältigen Konsequenzen für Natur und Erde eingehend beschrieben. Dass die Existenz des Wassers "für Maschinenbauer ein außergewöhnlicher Glücksfall" ist, ergänzt der Ingenieur Speiser durch die seherische Aussage des Altmeisters der Molekularbiologie Linus Pauling, dass "die physiologische Bedeutung der Wasserstoffbrücke größer sei als die jeder anderen Struktureigenschaft". Wunderstoff Silizium Das Kapitel über Roboter vermittelt mit versteckter Didaktik die Grundprinzipien der Robotik von der Aufzählung der Freiheitsgrade der Bewegung bis zur Herausforderung der "Künstlichen Intelligenz" beim "Griff in die Kiste". Ein Ausblick auf eine neue Disziplin "Mechatronik" umreißt eine integrale Ingenieurwissenschaft des 21. Jahrhunderts. In einem sehr schön auf das Wesentliche konzentrierten Kapitel über den "Wunderstoff" Silizium, das Material des 20. Jahrhunderts, hätte ich mir lediglich noch zwei Dinge deutlicher hervorgehoben gewünscht: einmal die durch Dotierung einstellbare Leitfähigkeit dieses Halbleitermaterials in zwei Polaritäten über viele Zehnerpotenzen, und zum andern die Prozesstechnik. Im Anschluss an die Erfindung des Transistors ist das Silizium zwanzig Jahre lang intensiv studiert worden – so intensiv, dass es heute wohl das besterforschte Material der Erde ist, viel gründlicher verstanden als der über Jahrhunderte empirisch erforschte Stahl. Darauf bauten die Techniken für eine großtechnische Mengenproduktion auf, die letztlich – um 1968 – der Mikroelektronik zum eigentlichen wirtschaftlichen Durchbruch verhalfen. Eine Seltenheit, auch für den Techniker, sind die Ausführungen über Schalter und Kontakte, gewöhnlich Stiefkinder technischer Allgemeinbildung; ein weiteres Kapitel behandelt die Anzeige mit Flüssigkristallen, ein Musterbeispiel für den eingangs erwähnten Bildungsgrundriss, leicht verständlich, aber fachlich korrekt beschrieben. Und ein technik-philosophischer Genuss ist das Schlusskapitel über "Nachrichtentechnik im Wandel der Zeiten" mit einem interessanten historischen Überblick über diese Hochtechnologien unserer Zeit. Bildung in humboldtschem Geiste Beim Epilog über Wellen, Oberflächen, elektromagnetisches Spektrum und Verbrennung fragt man sich, warum diese Säulen naturwissenschaftlicher Bildung in einer Art Anhang versteckt wurden: Über Wellen wird in einer kompakten Zusammenfassung deren Bedeutung für den Menschen dargelegt. Lobenswert darin ist insbesondere auch der kurze Abriss über Oberflächen. Die Abschnitte über "Elektromagnetisches Spektrum" und "Verbrennung" bieten eine schlichte, aber weit gespannte Übersicht, die auch für den Fachmann Erinnerungshilfen und interessante Details aufweist. Alles in allem bietet dieses Buch ein Stück naturwissenschaftlicher Allgemeinbildung in humboldtschem Geiste in didaktisch geschickter Darstellung. Oft geben auch scheinbar beiläufige Aussagen Querverweise innerhalb einer eindrucksvollen Wissensbasis. Kein Wunder, dass der Autor als ausgewiesener Ingenieurwissenschaftler und als langjähriger Chef industrieller Forschung bei IBM und ABB über Jahrzehnte von der "Neuen Zürcher Zeitung" als freier wissenschaftlicher Mitarbeiter erfolgreich in Anspruch genommen wurde.
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