Mit Gottes Segen in die Hölle
Fördern Religionen die Gewalt? Das diskutieren Franz Manfred Wuketits und Anton Grabner-Haider in diesem schmalen Band. Wuketits, Biologe und Wissenschaftstheoretiker, hat den vorderen Teil verfasst. Er erörtert, welche biologischen Wurzeln die Religionen haben und wie sie evolutionär entstanden sein könnten. Stilistisch überzeugt er dabei zwar nicht – er formuliert seltsam altbacken –, inhaltlich aber gibt er interessante Anregungen.
Elemente der Religiosität, spekuliert Wuketits, könnten bereits entstanden sein, als selbstreflexives Bewusstsein noch gar nicht existierte. Er verweist auf unsere frühen Primatenvorfahren, die in Baumkronen lebten. Dorthin konnten ihnen Raubtiere, die in der schattigen Bodenzone jagten, schlecht folgen. Wurden sie von Beutegreifern attackiert, führte der sicherste Fluchtweg nach oben, wo es hell war und die Artgenossen (im Gegenlicht betrachtet) Strahlenkränze trugen. Licht und helle Auren wiesen also den Weg fort von der Gefahr. Diese Präferenz könnte noch heute in uns angelegt sein: Kulturübergreifend sind "hell" und "oben" überwiegend positiv besetzt, "dunkel" und "unten" eher negativ.
Verborgener göttlicher Plan
Sehr bedeutsam, so Wuketits, sei die Entstehung des selbstreflexiven Bewusstseins gewesen. Menschen konnten immer besser zwischen sich und der Umwelt differenzieren, erkannten ihre Stellung darin und ihre gestalterischen Möglichkeiten. Sie begannen Werkzeuge und Behausungen herzustellen und geplant vorzugehen – also sinn- und zweckorientiert zu denken. Das habe zu der Frage nach dem Sinn des Ganzen geführt, und zur Vermutung, allem liege ein Plan zu Grunde.
Mächtige Antriebe religiösen Denkens seien weiterhin die Erkenntnis, sterben zu müssen – womöglich eine Besonderheit des Menschen –, und die Fähigkeit der Religionen, Gruppen zusammenzuschweißen. Hier liege aber auch eine Gefahr, schreibt Wuketits. Denn indem Religionen starke Gemeinschaften schmiedeten, grenzten sie diese nach außen hin ab. Dieses "Wir und die Anderen" habe immer wieder kollektive Hysterien und Gewaltkonflikte geschürt.
Religionsphilosoph Anton Grabner-Haider macht das konkret, indem er in der zweiten Buchhälfte eine kurze Kulturgeschichte der Religionen vorlegt. Auf rund 80 Seiten unternimmt er eine Tour de Force von Schamanismus über chinesischen Daoismus, indischen Buddhismus und japanische Religionen, keltische und germanische Mythen bis zu den klassischen Buchreligionen. Er untersucht, welche gesellschaftlichen Funktionen sie jeweils erfüll(t)en – und inwiefern sie als soziale Zeitbomben wirk(t)en. Dieser Teil wirkt streckenweise leider wie ein uninspirierter Zusammenschrieb diverser Religionshandbücher.
Kriegerische Leitbilder
Immerhin lässt sich ihm entnehmen, dass weltweit einmal mutterzentrierte (matrifokale) Formen des Zusammenlebens verbreitet waren, mit Mythen und Religionen, bei denen die Ahnenverehrung eine bedeutende Rolle spielte. Als sich weithin das Patriarchat durchsetzte, wurden alte, oft weibliche Schutzgötter von männlichen, häufig kriegerischen verdrängt: Shang ti in China, Indra in Indien, Marduk in Babylon und so weiter. Die klassischen Buchreligionen grenzten das Weibliche umfassend aus der göttlichen Sphäre aus – Jahwe/El erscheint in den Geschichtsbüchern der Bibel als rachsüchtiger, extrem aggressiver Kriegergott. Grabner-Haider verweist in diesem Zusammenhang auf fanatische Gruppen der Jahwereligion, die mit ihrem gewalttätigen Fundamentalismus mehrmals die Zerstörung Israels einleiteten.
Das Christentum startete relativ friedlich, transformierte in den folgenden Jahrhunderten aber zu einem kriegerischen Reichschristentum. Dessen Aggressivität richtete sich sowohl nach außen (Kreuzzüge, Kolonisation, Zwangsmissionierung) als auch nach innen (Ketzerkriege, Hexenwahn, Inquisition). Das Reichschristentum brachte beispiellose Gewaltexzesse wie den Dreißigjährigen Krieg hervor und trug nicht unerheblich zur Katastrophe des 20. Jahrhunderts bei; im Sog beider Weltkriege kollabierte es. Seither, so der Religionsphilosoph, verbreite sich unter Laienchristen wieder das "Verantwortungschristentum der Frühzeit", kehre eine Vielfalt christlicher Bekenntnisse und Bilder zurück.
Grabner-Haider geht auch auf den Islam ein, und natürlich auf den gewaltbereiten Islamismus, der täglich Schlagzeilen macht. Es gebe heute ein Ringen zwischen den liberalen Strömungen dieser Religion und den fundamentalistischen Bewegungen der Wahhabiten, Salafisten und Muslimbrüder, die (mittels Dschihad) neue Gottesstaaten durchsetzen wollten.
Das Fazit der Autoren ist durchwachsen. Religionen brächten ihren Vertretern zweifellos und nachweislich starke Überlebensvorteile; ihre Lehren und Bilder seien große Leistungen der kulturellen Sozialisation. Sie hätten aber auch ein enorm destruktives Potenzial. Es sei dringend nötig, ihren Wahrheitsanspruch zu relativieren, Religion und Staat zu trennen und insbesondere Heranwachsenden klarzumachen, dass keine Ideologie und keine Religion Menschenopfer fordern darf. "200 Jahre nach der Aufklärung dürfte das nicht zu viel verlangt sein."
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