Der große Umbruch
In der Jungsteinzeit, dem "Neolithikum", wandelten sich die Lebensgewohnheiten fundamental. Vor etwa 12 000 Jahren fingen Menschen an, Getreide zu kultivieren, Tiere zu züchten und Vorräte anzulegen, sie wurden sesshaft und bauten feste Gebäude. Der vorliegende Band widmet sich dieser bedeutsamen Epoche und vermittelt sowohl Grundlagenwissen als auch aktuelle Forschungsergebnisse hierzu.
Das Buch begleitet die Ausstellung "Revolution Jungsteinzeit", die von September 2015 bis April 2016 im Rheinischen Landesmuseum Bonn gastiert und anschließend nach Detmold und Herne weiterziehen wird. Als Leser hat man also noch reichlich Zeit, sie persönlich zu besuchen. Die Ausstellung präsentiert rund tausend Objekte aus Museen, Sammlungen und Forschungseinrichtungen Europas, allen voran Nordrhein-Westfalens. Dazu gehört das Skelett eines Auerochsen, der von mittelsteinzeitlichen Jägern erlegt wurde und dem die Autoren ein eigenes Kapitel widmen.
Zunächst bringt der Band einen allgemeinen Überblick über die Jungsteinzeit. Es folgen Aufsätze, die sich mit Besonderheiten dieser Ära in Nordrhein-Westfalen befassen. Der hintere Teil ist Berichten vorbehalten, die über konkrete Fundstellen im Landesgebiet handeln. Ein hilfreicher Anhang mit Übersichtskarte und Chronologie rundet das Werk ab.
Umwälzung im Schneckentempo
Auch wenn der Begriff "neolithische Revolution" auf Kritik stößt, rechtfertigen die Autoren ihn mit den bedeutenden Veränderungen damals. Dennoch weisen sie darauf hin, dass die "Revolution" ein allmählicher Prozess war, der von Region zu Region anders verlief. In erster Linie möchten sie zeigen, wie wichtig die Jungsteinzeit für die zivilisatorische Entwicklung war. Diese Epoche brachte nicht nur großartige Errungenschaften wie die Landwirtschaft hervor, in ihr waren auch bereits viele Probleme heutiger Gesellschaften angelegt, etwa die explosionsartige Bevölkerungszunahme und die einseitige Ausrichtung der Wirtschaft auf Wachstum.
Dementsprechend beschränken sich die Autoren nicht darauf, die damalige Zeit zu beschreiben, sie äußern immer wieder auch Kritik am modernen Lebensstil. Beispielsweise wenn sie formulieren, "dass sich ab dem Neolithikum die Menschheit mit Nachdruck selbst eine Lebensumwelt schafft, für die sie biologisch gesehen nicht optimal ausgestattet ist". Es wird viele Leser überraschen, aber der ökologisch-technische Fortschritt im Neolithikum wirkte sich zunächst eher negativ auf die Gesundheit der Menschen aus. Mit dem Übergang zur Landwirtschaft musste man körperlich mehr arbeiten, und das engere Zusammenleben förderte die Verbreitung von Tuberkulose und anderen Krankheiten. Folgerichtig bezeichnet einer der Beiträge die Jungsteinzeit als Geburtsstunde der Zivilisationskrankheiten.
Sesshaftigkeit und Bevölkerungswachstum führten zudem dazu, dass soziale Hierarchien an Bedeutung gewannen und der Krieg als soziale Handlungsoption möglich wurde, wie sich an Funden belegen lässt. Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen wurde erheblich intensiviert. In der heutigen Welt hat sie ein global bedrohliches Ausmaß angenommen.
Die letzten Wildbeuter
Andererseits wird deutlich, dass die damals angestoßenen Umwälzungen nicht mehr rückgängig zu machen sind. Landwirtschaft ist und bleibt unsere zentrale Lebensgrundlage und das Bevölkerungswachstum hat sich immer weiter beschleunigt. "Ohne Neolithisierung gäbe es weder Staaten noch Städte, Industrialisierung, digitale Revolution, kurz unser modernes Leben." Je nach Definition ist der jungsteinzeitliche Übergang immer noch nicht völlig abgeschlossen, sondern wird erst mit dem gänzlichen Verschwinden der letzten Jäger- und-Sammler-Kulturen in naher Zukunft vollendet.
Das Buch stellt neben den Grundlagen neue Forschungsergebnisse vor und verdeutlicht, wie sich die Archäologie in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat. Disziplinen wie die Archäobotanik und die Paläogenetik haben Datierungen und Analysen auf ein solides Fundament gestellt und bereits untersuchte Funde in neuem Licht erscheinen lassen. Das gilt insbesondere für Nordrhein-Westfalen, auf das die Autoren ihren Fokus legen. Das Land ist eine der besterkundeten Regionen, was Überbleibsel aus dem Neolithikum in Europa betrifft.
Insgesamt bietet der Band eine gute Mischung aus verständlichen Informationen für Einsteiger und vertiefenden Beiträgen für archäologisch Interessierte. Man liest ihn mit Gewinn, auch ohne die Ausstellung besucht zu haben.
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