Mythos Robin Hood
Robehod, Robynhood, Rabunhod, … Um das Jahr 1250 kam es in England zu einer wahren Flut solcher Beinamen. Verurteilte trugen sie ebenso wie unbescholtene Bürger – und heutige Forscher sehen in ihnen Hinweise auf den schon damals populären Gesetzlosen Robin Hood. Sie hoffen, den schwer fassbaren Helden mit Hilfe solcher Phänomene dingfest zu machen. Wer war der "echte" Robin Hood, wann lebte er, und wo? Die Mediävistin Judith Klinger versucht in diesem Buch, das Mythendickicht rund um Robin und seine "merry men" zu entwirren.
Klinger beginnt mit einer spannenden Reise zurück zu den frühesten bekannten Quellen. Zumindest geografisch kann man demnach Robins Herkunft einschränken, und zwar auf die Gegend um Sherwood und Barnsdale im englischen Yorkshire. Ihn zeitlich zu fixieren, erweist sich als weitaus schwieriger. Und das nicht nur, weil die frühen Erzählungen über ihn zeitlich sehr vage sind, sondern auch wegen der großen Zahl an Männern namens Robin Hood, die über die Jahrhunderte in England aktenkundig wurden. Daher haben Historiker schon im Mittelalter über den Ursprung der Geschichten gerätselt. Die ältesten schriftlichen Erwähnungen des Gesetzlosen stammen aus der Zeit um 1400. Doch bereits in den zwei Jahrhunderten davor hatten sich Menschen nach ihm und seinen Mitstreitern benannt.
Im Dunkel der Vergangenheit
Robin Hood ist somit wohl wesentlich älter als alle Geschichten, die wir heute von ihm kennen. Ob er überhaupt je gelebt hat, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Seinem Einfluss aber tat und tut das keinen Abbruch. Er tauchte auf Steuerurkunden im Beinamen braver Bürger auf; er war Teil karnevalesker Maifeste, bei denen Dörfler als Robin und Konsorten kostümiert sowohl Spenden sammelten als auch Prügeleien anzettelten. Sogar der englische König Heinrich VIII. gab gelegentlich den Gesetzlosen: Unter anderem drang er als dieser verkleidet in die Gemächer der Königin ein.
Solchen und ähnlichen Kuriosa begegnet man, wenn Klinger im Hauptteil des Buchs nachzeichnet, wie sich die Erzählungen über den Helden entwickelt haben. Anhand der Quellen rekonstruiert sie, wie die "merry men" von unbekümmerten Gesetzlosen, die Beamte und Kleriker ausraubten, um rauschende Feste im Wald zu finanzieren, zu edlen "Sozialrebellen" wurden. Dabei zeigt sich, dass Robins Welt einem steten Wandel unterlag. So wurden die Figuren des streitbaren Mönchs Bruder Tuck und der Marian wohl im Zusammenhang mit Maifesten hinzugedichtet. Andere Erzählstränge, etwa der über die verräterische Priorin und Robin Hoods Tod, sind dagegen fast in Vergessenheit geraten. Viele Elemente, die wir heute für Kernbestandteile der Geschichte halten, nehmen sich überraschend jung aus. Beispielsweise schlüpfte Robin erst im 19. Jahrhundert in die Rolle des adligen Freiheitskämpfers und selbstlosen Rächers der Unterdrückten. Und Sir Walter Scotts einflussreicher Historienroman "Ivanhoe" (1820) hatte maßgeblichen Anteil daran, dass der Held heute als Gefolgsmann des Königs Richard Löwenherz gilt.
Dankbarer Stoff
Bei alldem blieb Robin "ein äußerst anpassungs- und wandlungsfähiger Held", dessen Mythos sich stets dem Zeitgeist angleichen ließ und immer noch lässt. Der letzte Teil des Buchs beschäftigt sich dementsprechend mit modernen, meist filmischen Interpretationen. Laut Klinger haben sich in den verschiedenen Produktionen sowohl Weltpolitik als auch gesellschaftliche Veränderungen niedergeschlagen. So kam in "Robin Hood, König der Diebe" (1991) der Charakter des Sarazenen Azeem hinzu – er sollte den "Orientalenklischees", die nach dem zweiten Golfkrieg in den Medien vorherrschten, ein positives Leitbild entgegensetzen. In "Robin und Marian" (1976) wiederum zeugte die kritische Darstellung des Kreuzzugs vom um sich greifenden Pazifismus nach dem Vietnamkrieg. Auch die Legendenbildung selbst sei thematisiert worden, schreibt die Autorin, etwa in der TV-Serie "Robin of Sherwood" (1984-1986). So wandelbar der Held aber auch sei, eins bleibe er immer: ein Grenzgänger.
Alles in allem gelingt Klinger eine packende, übersichtliche und aufschlussreiche Darstellung des Mythos Robin Hood. Die Autorin beleuchtet nicht nur, wie sich die Erzählungen über ihn wandelten und ausdifferenzierten, sondern legt auch immer wieder schlüssig die Hintergründe solcher Veränderungen dar. Mitunter verliert sie ihren Schwung allerdings in sehr detaillierten Erörterungen.
Zahlreiche Illustrationen und Zitate lockern den Text auf; der Anhang enthält weiterführende Informationen nebst Bibliografie. Hier stößt man auch auf eine Chronologie der Überlieferung – hilfreich bei der Reise durch fast siebenhundert Jahre Geschichte(n).
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