Antike: Nero reloaded
Für die Menschen, die mit den farbenprächtigen Hollywood-Monumentalfilmen groß geworden sind, hat der römische Kaiser Nero ein unverwechselbares Gesicht. In dem US-amerikanischen Blockbuster »Quo vadis« aus dem Jahr 1951 ist es Sir Peter Ustinov, der als wahnsinniger Kaiser Nero mit der Leier in der Hand das brennende Rom besingt. Ein unvergesslicher Moment der Filmgeschichte. Und selbst jüngere Generationen werden eine Verbindung zwischen Kaiser Nero und der Zerstörung Roms in dem nach dem römischen Kaiser benannten CD- und DVD-Brennprogramm herstellen können. Neben Julius Cäsar und Kaiser Augustus gibt es wenige römische Herrscher, die so stark ins kulturelle Gedächtnis eingedrungen sind.
Der Althistoriker Anthony A. Barrett unterzieht in seinem Buch »Rom brennt« die Herrschaft Neros und das entscheidende Ereignis seiner Zeit, den Brand der Hauptstadt im Jahr 64 n. Chr., einer gründlichen Revision. Dies scheint, gerade im Blick auf das kulturelle Gedächtnis, wirklich nötig zu sein: ein wahnsinniger Kaiser, der Rom in Brand setzt, um es dann nach seinen Vorstellungen neu aufzubauen. Und bei der Gelegenheit schiebt er der noch sehr jungen christlichen Gemeinde die Schuld in die Schuhe, um sie dann grausam zu bestrafen – lässt sich diese fest eingeprägte Vorstellung historisch nachweisen?
Fakt oder Fake News?
Zunächst mag es überraschen, dass man erstaunlich wenig über die genaue Opferzahl oder den Ablauf des Brandes weiß. Über die politische Dimension der Katastrophe ist hingegen einiges bekannt, da die zeitgenössischen Quellen sehr daran interessiert waren, Nero als verantwortungslosen Schurken darzustellen, dem man es sogar zutraute, Rom selbst in Brand gesteckt zu haben, um eigene Bauprojekte durchzuführen. Dieser politische und gesellschaftliche Aspekt des Feuers löste nachfolgende Umbrüche in der römischen Geschichte aus.
Hatte der Kaiser bis dahin im Volk und im Senat stets einen guten Ruf genossen, änderte sich das durch die Anschuldigungen. Der Bruch mit der mächtigen römischen Elite führte vier Jahre später zum Freitod Neros und zum Ende der julisch-claudischen Herrscherdynastie.
Dabei schien es keine objektiven Beweise für die Schuld des Kaisers zu geben. Dennoch hatte sich am Ende des 1. Jahrhunderts die Ansicht verfestigt, Nero sei für den Brand verantwortlich gewesen. Das Bild des singenden Herrschers, der das brennende Rom als Theaterkulisse nutzt, war beispielsweise anfangs nicht mehr als ein Gerücht, wurde aber in den Quellen mit zunehmender Zeit zu einer Tatsache. Die damaligen Historiker hatten kein Interesse daran, es sich mit den nachfolgenden Machthabern zu verscherzen, die sich in Kontrast zur bösen Herrschaft Neros sahen, und kolportierten die Erzählungen einfach weiter.
Die Grundthese Barretts lautet, dass es etwas Besonderes mit diesem Brand auf sich hatte, wenn er so starke Verwerfungen in der römischen Gesellschaft nach sich ziehen konnte. Denn Brände waren in Rom nichts Ungewöhnliches. Seit dem Jahr 6 n. Chr. gab es eine Feuerwache, die »vigiles«. Und der Satirendichter Juvenal beschrieb Brände neben Gebäudeeinstürze und Dichterlesungen als einen der drei Schrecken, die Rom immer wieder heimsuchten. Auch war es nicht ungewöhnlich, dass man – wie nach jeder großen Katastrophe – einen Sündenbock suchte. Schließlich waren Brände in der Antike nicht bloß zufällige Unglücke, sondern ein Zeichen der Götter, Strafe für Fehlverhalten und ein Omen für kommende Katastrophen.
Das führt zu der zweiten großen Frage, die sich im Zusammenhang mit dem Ereignis stellt: Hat Nero, um von seiner Schuld abzulenken, tatsächlich die Christen beschuldigt, verfolgt und bestraft? Die genaue Quellenanalyse Barretts kommt zu einem interessanten Ergebnis: Außer einer Textpassage in den berühmten Annalen des Historikers Tacitus (58–120 n. Chr.) findet sich keine einzige Quelle vor dem 5. Jahrhundert n. Chr., welche die Christen mit dem Brand Roms in Verbindung bringt. Und bei einer genaueren Betrachtung der Textstelle fällt auf, dass die Bestrafung der Christen nicht zwangsläufig eine Folge des großen Brands war. Wahrscheinlicher ist, dass Tacitus entweder zwei unabhängige Vorfälle miteinander kombiniert hat oder dass ein christlicher Autor im 4. Jahrhundert diesen Text eingefügt hat.
Das Buch gibt einen sehr umfassenden Überblick über das prägende Kapitel der römischen Geschichte und liefert tiefe Einblicke in die Gedankenwelt der damaligen Zeit. Es ist spannend zu beobachten, wie Barrett quasi festgefügte Vorstellungen über den Brand Roms und dessen Folgen durch eine genaue Analyse der historischen Texte und der archäologischen Befunde widerlegt. Ebenso interessant zu lesen ist, wie sich der Brand auf die Wirtschaft des Römischen Reichs, die Stadtplanung und nicht zuletzt die Bautechnik, die anschließend verstärkt auf feuerfeste Materialien wie Zement setzte, ausgewirkt hat.
Für Laien wird das Lesen durch die vielen ausführlichen Beschreibungen und Argumentationen in einigen Kapiteln ein wenig mühsam. Aber es steht ja nirgendwo geschrieben, dass die historische Wissenschaft immer einfach ist.
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