Berühmt und belastet
Schon in jungen Jahren besaß er einen ausgeprägten Hang dazu, sich selbst darzustellen und dabei maßlos zu übertreiben. Er führte ein abenteuerliches Leben, war leicht reizbar, litt unter Stimmungsschwankungen und konnte Frauen nur schwer widerstehen – genau wie dem Alkohol. Die Rede ist von Ernest Hemingway, einem der bekanntesten amerikanischen Schriftsteller, der 1954 mit 55 Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt. Zu dieser Zeit ging es ihm bereits so schlecht, dass er nicht nach Stockholm reisen konnte, um die Auszeichnung persönlich entgegenzunehmen. Wahnvorstellungen und Depressionen quälten ihn, das Schreiben fiel ihm zunehmend schwer. Im Alter von 61 Jahren beging er Suizid.
Hemingway war nicht der einzige Künstler, der mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Vincent van Gogh zum Beispiel erkrankte an Schizophrenie. Seine Halluzinationen trieben ihn sogar dazu, sich das rechte Ohr abzuschneiden. Letztendlich wies er sich selbst in eine "Irrenanstalt" ein. Auch der Lyriker Friedrich Hölderlin litt an dieser Wahrnehmungs- und Denkstörung. Der befreundete Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling beschrieb die gedankliche Zerfahrenheit Hölderlins einst so: "Wenn ich einen Gedanken anschlug, der ihn ehemals ansprach, war die erste Antwort immer richtig und angemessen, aber mit dem nächsten Wort war der Faden verloren."
Der Arzt und Psychologe Thomas Köhler, der an der Universität Hamburg lehrt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die seelischen Leiden berühmter Persönlichkeiten unter die Lupe zu nehmen und gleichzeitig mit falschen Diagnosen aufzuräumen. Die Idee zu dem Buch entstand in seiner Vorlesung zur Klinischen Psychologie. Um die Symptome und den Verlauf von psychischen Störungen zu illustrieren, griff Köhler immer wieder auf Pathografien bekannter Persönlichkeiten zurück. Er erzählte den Studenten aus dem Leben von König Ludwig II. oder vom Selbstmord Hemingways und stellte fest, dass es bislang kein Buch gab, das die psychischen Leiden berühmter Persönlichkeiten systematisch darstellte.
Von Infektion bis Wahnvorstellung
Köhlers Werk behandelt zunächst organisch bedingte psychische Störungen wie die Demenz oder die progressive Paralyse, also die fortschreitende Lähmung des Gehirns als Folge einer unbehandelten Syphilis. Dabei kommt es zu Depressionen, Manien, Paranoia und nicht selten zu Größenwahn und zunehmenden intellektuellen Einschränkungen. Kaum jemand eignet sich besser als der Philosoph Friedrich Nietzsche, um den dramatischen Verlauf der Syphilis aufzuzeigen. Aber auch bei Komponisten wie Franz Schubert, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und dem berühmten Geiger Niccolò Paganini führte die Geschlechtskrankheit zu psychischen Problemen, wie der Leser erfährt.
Der zweite Teil des Buchs dreht sich um die Schizophrenie und verwandte Erkrankungen. Köhler beschreibt kurz die Symptome, Ursachen und Entstehungsmechanismen der Störung, bevor er aus dem Leben von Betroffenen berichtet. Dazu zählt (höchstwahrscheinlich) König Ludwig II. von Bayern, dessen Geschichte der Autor seitenlang beleuchtet. Anschließend geht er auf affektive Erkrankungen ein und verdeutlicht den Verlauf der bipolaren Störung anhand der Biografien von Virginia Woolf und Ernest Hemingway.
Insgesamt 24 Persönlichkeiten aus Politik, Musik, Kunst und Literatur zieht der Autor zur Illustration heran und greift dafür auf Zeitzeugenberichte und Anekdoten zurück. Einige Fälle handelt er nur kurz ab, bei anderen holt er weiter aus. Statt sich allein elf Fällen von Syphilis zu widmen, hätte Köhler noch andere psychische Erkrankungen besprechen können. Denn leider erwähnt er interessante Persönlichkeitsstörungen wie Borderline und Narzissmus oder Entwicklungsstörungen wie Autismus überhaupt nicht. Schade auch, dass wichtige medizinische Informationen im Glossar verschwinden, statt im Text aufzutauchen. Interessant ist das Buch aber allemal, auch wenn der Titel etwas reißerisch klingt und der Klappentext Geschichten über Genie und Wahnsinn verspricht, die der Leser nicht in jedem Fall finden wird. Zum Beispiel hatte die späte Demenz von Margaret Thatcher ziemlich wenig mit ihrem Erfolg oder ihrer Berühmtheit zu tun.
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