Sand für Siri, Fracking und Co.
Beton sei die Hauptursache für die globale Sandkrise, schreibt der Autor. Wieso Krise? Suggeriert ein Sprichwort nicht unbegrenzte Vorräte: »Das gibt es wie Sand am Meer«? Tatsächlich werden ganze Inseln abgebaggert, riesige Areale Meeresboden abgesaugt und Korallenriffe zugeschlammt. Sogar von Friedhöfen in Flussnähe wird Sand geplündert, um an den knapp werdenden Rohstoff zu kommen. Inzwischen protestieren Menschen gegen den Sandraub von ihren Lieblingsstränden, blockieren Straßen und fordern Maßnahmen gegen illegalen Abbau. Denn es ist nicht der »unendlich« erscheinende Wüstensand, der so begehrt ist: Die Körner aus Quarz müssen scharfkantig sein, nur so verleihen sie Baustoffen wie Beton die nötige Festigkeit. Sonst sei es, als würde man mit Murmeln anstatt mit Klötzen bauen wollen, erklärt der US-amerikanisch-kanadische Journalist Vince Beiser in seinem neuen Buch. Die kantige Form haben Sandkörner aber bloß, wenn sie aus unterirdischen Lagerstätten oder aus dem Wasser stammen. In Wüsten werden die Sandkörner mit großer Wucht hin und her gestoßen und regelrecht rund gerollt – das macht sie für stabile Bauwerke ungeeignet.
Verheerende Auswirkungen auf die Umwelt
Inzwischen werden wegen Sand sogar Morde begangen. Zudem verursache der Abbau Umweltschützern Albträume, resümiert Beiser. Als Journalist ist er an viele Orte gereist, wo der Sandabbau verheerende Auswirkungen auf die Umwelt hat.
Er schildert, wie die »wichtigste feste Substanz auf Erden« die Gesellschaft verändert. So führten Autobahnen zum Entstehen einer Fastfood-Kultur, Glasflaschen prägten das Trinkverhalten, und der Bau des Panamakanals aus Beton mit dem Zuschlagstoff Sand beeinflusse den internationalen Transport. Zwar wird Sand hauptsächlich für Beton benötigt, doch auch Glas und Implantate aus Silikon basieren auf dem Rohstoff. Und wenn Siri eine Bestellung aufnehmen soll, brauchen die Computerchips nicht nur Silizium. Die elektronischen Bausteine werden in hochreinen Quarztiegeln produziert, die ebenfalls viel Sand benötigen.
Mittlerweile verbraucht man weltweit um die 50 Milliarden Tonnen Sand jährlich. Und es kommt ein neuer Verbraucher hinzu: Gas- und Öl-Fracking. Der Fracking-Sand wird dabei in die unterirdischen Lagerstätten gepresst, um die künstlich aufgebrochenen Risse durchlässig zu halten. Für diese Art der Förderung verschwinden tausende Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und Vogelschutzgebiete. In den Gegenden, in denen der Fracking-Sand gesammelt wird, gehen Menschen teilweise mit Atemschutzmaske vor die Tür. Denn der feine Quarzsand kann eine besonders schwere Lungenkrankheit verursachen, wenn die Maschinen viel Feinstaub aufwirbeln.
Beiser schreibt nicht nur sehr anschaulich, er bringt der Leserschaft die Fülle an Wissen zudem auf unterhaltsame Weise nahe. In seinen stimmungsvollen Berichten erzählt er beispielsweise, wie er Chuck, den Schichtleiter eines Sandwerks, im Kontrollraum besucht oder dass die Flanken von Hügeln aussehen wie mit einem Küchenmesser verstümmelt. Er öffnet den Lesenden die Augen, wo überall in unserer Umwelt Sand gefördert und benötigt wird und welche Folgen das hat, und wirft einen ganzheitlichen Blick auf die positiven sowie negativen Auswirkungen dieser »Gier« nach dem Rohstoff.
Dabei schildert der Autor nicht bloß die Folgen für die Natur, sondern auch die für uns Menschen. So steigen inzwischen die Preise für Sand, wodurch sich Slums weiter ausbreiten, da einige sich Bauten aus Sand und Beton nicht mehr leisten können. Beiser vergisst nicht die Arbeiter, meist Kinder, die durch Unfälle beim Sandabbau sterben oder wenn Überflutungen und Abbrüche von Flussufern ganze Siedlungen auslöschen. Oder diejenigen, die gegen den Abbau demonstrieren und deswegen bedroht oder gar getötet werden. Laut Beiser gibt es deutlich mehr als 70 Mordopfer allein in Indien, darunter Journalisten, Aktivisten und Polizeibeamte.
In vielen Industrieländern ist der Sandabbau mittlerweile verboten. Das führe aber nur dazu, dass das Problem dorthin exportiert wird, wo es laschere Gesetze gibt oder sich die Menschen weniger wehren können, so der Autor. Eine Lösung sei eine Art Fair-Trade-Bewegung ähnlich der für Textilien oder Kaffee – auch bei den Importen von Fracking-Gas.
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