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»Schachgeschichten«: Schach und Mathematik im Doppelpack

Anekdoten aus der Schachwelt und mathematische Knobeleien ergeben zusammen eine unterhaltsame Lektüre
Schachfiguren auf einem Schachbrett

Die Autoren sind befreundet und haben am selben Tag Geburtstag – für sie Anlass genug, ihre beiden Bücher zusammenzumischen.

Das ist so etwas wie der Lebenstraum des Fachjournalisten: nicht nur von der Sache allerlei zu verstehen, sondern auch mit den Großen des Fachs gut Freund zu sein und am Ende selbst noch etwas beizutragen. Es sieht ganz so aus, als sei dieser Traum für Frederic Friedel in Erfüllung gegangen. Sein Buch ist voll von Anekdoten über berühmte Persönlichkeiten des Schachspiels.

Friedel, Jahrgang 1945 und studierter Sprachwissenschaftler, hat nicht nur über das königliche Spiel geschrieben. Er produzierte Fernsehfilme zu den Themen Computer, Schach und Computerschach und gründete eine Zeitschrift zum Thema, die »Computerschach und Spiele«. Gemeinsam mit dem Physiker Matthias Wüllenweber rief er 1987 die Firma ChessBase ins Leben, die bis heute zu den wichtigsten Herstellern von Schach-Software zählt.

Angefangen hat ChessBase als schlichte Datenbank. Sie verzeichnete große Mengen bereits gespielter Partien auf Weltklasseniveau und ermöglichte es dadurch ihren professionellen Benutzern auch, sich auf die Vorlieben – und Schwächen – des nächsten Gegners vorzubereiten. Friedel lässt seine Leser sogar mit ausgewählten Appetithäppchen – via QR-Code – an seinen Schätzen teilhaben.

Der Beginn seiner Journalistenlaufbahn 1979 fällt in die Zeit, als die Computer lernten, Schachpartien nicht nur aufzuzeichnen, sondern auch selbst zu spielen – auf Großmeisterniveau. Michail Botwinnik (1911–1995), dreimaliger Schachweltmeister (1948–1957, 1958–1960, 1961–1963) und berühmt geworden als »Patriarch der sowjetischen Schachschule«, hatte gemeinsam mit sowjetischen Programmierern einen Schachcomputer entwickelt und wollte 1982 dessen Kräfte mit denen des amerikanischen Gegenstücks Belle messen. Vergeblich! Die amerikanischen Behörden hatten die Ausfuhr des Geräts kurzfristig unterbunden. Immerhin handelte es sich um einen Hochleistungscomputer, und eine militärische Verwendung wäre bei diesem spezialisierten Gerät zwar abwegig gewesen, aber mitten im Kalten Krieg wollte man kein Risiko eingehen.

Bei der Juniorenweltmeisterschaft 1980 in Dortmund begegnete Friedel einem 17-jährigen Hochbegabten, woraus sich eine langjährige Freundschaft entwickelte. Der Knabe war der spätere langjährige Weltmeister Garri Kasparow. Gemeinsam mit Friedel hat er die Entwicklung der Datenbank ChessBase maßgeblich vorangetrieben und damit zur »Demokratisierung« des Schachspiels beigetragen. Heute hat auch Zugang zu einer Spiele-Bibliothek, wer keine Schar von Assistenten bezahlen kann.

Fast tragisch mutet es an, dass Kasparow der letzte Mensch war, der in einem öffentlichen Wettkampf mit Aussicht auf Erfolg gegen einen Computer antrat – und am Ende verlor. Friedel, damals Assistent Kasparows, beschreibt ausführlich das entscheidende Turnier 1997 in New York. Für mich überraschend war, dass die Gegenseite sich nicht darauf beschränkte, den Computer Deep Blue von IBM möglichst effizient arbeiten zu lassen, sondern versuchte, Kasparow durch allerlei Psychotricks zu verunsichern, insbesondere verwirrende und nicht nachvollziehbare Antwortzeiten der Maschine.

Und was hat der zweite Autor, der Stuttgarter Mathematikprofessor Christian Hesse, zu dem Gesamtwerk beigetragen? Ein weiteres Buch, und zwar über sein Lieblingsthema Mathematik, das er bereits in zahlreichen Werken appetitlich vor seinen Lesern ausgebreitet hat. Seine Kapitel sind in bunter Mischung zwischen die Geschichten Friedels eingestreut.

Und der Zusammenhang zwischen den beiden Büchern? Ist bestenfalls lose. Beide Autoren sind nicht nur miteinander befreundet, sondern haben auch am selben Tag Geburtstag, was Hesse Anlass gibt, etwas zum bekannten Geburtstagsparadox zu erzählen – Koinzidenzen wie gleiche Geburtstage sind wesentlich häufiger, als man denkt – und Beispiele dafür in der Schachwelt zu finden.

Schach liefert auch die Stichwörter für Themen wie exponentielles Wachstum: Wie kann man sich die Zahl aller vernünftigerweise möglichen Schachpartien (Größenordnung 1080) vorstellen? Wie viele Reiskörner ergibt es, wenn man ein Korn auf das erste Feld eines Schachbretts legt und auf jedes weitere doppelt so viele Körner wie auf das Vorgängerfeld? Selbst knifflige Ratespiele lassen sich in Schachgeschichten einkleiden: Zwei Leute, die über verschiedene Teilinformationen verfügen, bekommen dieselbe Frage gestellt. A sagt »Ich weiß die Antwort nicht«, B sagt »Ich weiß die Antwort nicht«, darauf sagt A »Jetzt weiß ich sie« und B »Jetzt weiß ich sie auch«. Wie lautet die Antwort?

Beide Bücher sind gut geschrieben und sehr unterhaltsam. Da schadet es nicht, dass sie zusammengebunden ausgeliefert werden.

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