»Schlaraffenland abgebrannt«: Viele Fragen, kaum Antworten
Täglich warnen uns Medien vor Deutschlands Abstieg. Die Wirtschaft brummt schon lange nicht mehr; während sie in anderen OECD-Ländern nach der Pandemie wieder Tritt gefasst hat und wächst, verzeichnet unsere ein Minus. Hohe bürokratische Hürden, mangelndes Facharbeiterangebot, versäumte Digitalisierung und Niedergang des Bildungsniveaus ziehen das Land herunter, so die Kommentatoren. Manche sprechen wieder vom »kranken Mann« Europas.
Ins selbe Horn stößt auch Michel Friedman mit seinem neuen Buch »Schlaraffenland abgebrannt«. Friedman – Rechtsanwalt, Publizist, Moderator und Philosoph – ist ein öffentlicher Intellektueller und inzwischen auch Honorarprofessor. Politisch bekannt wurde er als Mitglied im Zentralrat der Juden, bevor er sich 2003 nach einer Affäre von allen öffentlichen Ämtern zurückzog.
Von einem solchen Intellektuellen erwartet man ein Buch gesättigter Erfahrungen und tiefgründiger Analysen. Er selbst habe sein Buch »als Gedankenreise angelegt«, um sich »damit zu beschäftigen, warum Menschen zu allen Zeiten, (…) wenn es ihnen zu gut ging, irgendwann ihre Kraft nicht mehr mobilisierten, Alarmsignale nicht mehr beachteten (…), sondern nur noch selbstverliebt mit ihrem Glück und ihren Sehnsüchten beschäftigten, und dass früher oder später ihr Untergang begann.« Friedmans Buch ist teilweise sehr persönlich geschrieben. Er bekennt sich nicht nur zu seiner Angst, er scheint von ihr getrieben zu sein. »Angst« ist eines der wohl am häufigsten vorkommenden Wörter in seinem Buch. Man mag dies einerseits biografisch verständlich finden, aber andererseits heißt es zurecht, dass »Angst ein schlechter Ratgeber« ist. So auch in diesem Fall.
Unterkomplex in der Analyse, vehement im Ton
Seine assoziative »Denkreise« führt den Autor zwar zu »vielen Gedanken, Gefühlen und Fragen«. Aber die Angst als ständige Begleiterin seines Schreibens verhindert die Vertiefung in die sachorientierte Analyse. Friedman springt auf jedes erdenkliche gegenwärtige Thema auf: von der Wirtschaft zur Bildung, von aktivistischen Asphalt-Klimaklebern zu Kriegen und Katastrophen. Derart gehetzt scheint es, als ob er Angst habe, etwas zu vergessen. Als Leser wundert man sich, wie schnell die Inhalte selbst von Absatz zu Absatz wechseln und wie der Autor, ohne einen Moment innezuhalten und tiefer in die Probleme einzusteigen, weiter hechelt. Deshalb wirken die vielen Fragesätze, die Friedman teilweise zu ganzen Absätzen arrangiert, fast hilflos. Sind seine Fragen nur rhetorische und ist eine Antwort gar nicht beabsichtigt? Neben dem Wort »Angst« kommen auch Fragezeichen besonders häufig im Buch vor. Dabei lässt sich Friedmans grundsätzliche Haltung durchaus nachvollziehen. Was er schreibt, stimmt. Er schreibt aus der Position des Universalismus, steht voll hinter den Errungenschaften der Aufklärung, ist ein Demokrat par excellence und fordert mehr Streit der Argumente, ohne den die Gesellschaft ihre dringenden Probleme nicht lösen wird.
Dennoch und trotz der Vehemenz des Wehklagens hinterlässt das Buch den Geschmack einer dünnen, ungesalzenen Suppe. Manchmal klingt es wie eine schlichte Wahlkampfrede, gelegentlich wie ein Debattenbeitrag für die Galerie des Bundestags. Es bleibt unterkomplex. Sein gehetzter Stil erweckt den Eindruck, als ob Friedman skizzenhaft den Teufel an die Wand malt, sich aber um eine tiefere Analyse drückt. Wer regelmäßig aufmerksam Qualitätsmedien verfolgt, ist deutlich besser bedient und bekommt mehr Analytisches geboten als das, was der Autor hier präsentiert.
Vollends grotesk wird es am Schluss der Danksagung, wenn Friedman sich zu hybridem Selbstlob versteigt: »Und besonders möchte ich mich bedanken bei der Neugier, beim Zweifel, beim Widerspruch, die mich treiben und hoffentlich bis zum Ende meines Lebens begleiten.« Als Leser wünscht man sich, jemand hätte den Autor vor Sätzen wie diesen bewahrt.
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