Der Anfang von allem
Vertrauen, vor allem in sich selbst, ist eine wichtige Ressource in unserer unsicheren Welt. Der französische Philosoph Charles Pépin fasst auf rund 200 Seiten zusammen, was man darüber wissen muss. Gerade heute, da so vieles an unserem Selbstvertrauen nagt: das ständige Sichpräsentieren im Internet, die Entfremdung der Arbeitswelt oder das Mantra der Ratgeberindustrie, wonach jeder selbst für die richtige mentale Haltung verantwortlich sei.
Die sozialen Medien sind laut Pépin Gift fürs Selbstvertrauen, weil sie ein vermeintlich viel tolleres Leben der anderen vorgaukeln. Auch den Wunsch nach absoluter Berechenbarkeit etwa bei der Job- oder Partnerwahl sieht er skeptisch. Schließlich sei Vertrauen gerade da vonnöten, wo es keine Gewissheit gibt. »Selbstvertrauen gewinnt, wer die Unsicherheit liebt«, formuliert er das scheinbare Paradoxon.
Pädagogischer Impetus
Der Autor ist kein akademischer Denker, sondern unterrichtet seit mehr als 20 Jahren Pariser Gymnasiasten im Philosophieren. Den pädagogischen Impetus merkt man seinem Buch an. Ohne oberlehrerhaft zu dozieren, garniert er alltagsnahe Beispiele mit einer Prise Wissenschaft sowie hintergründigen Gedanken. In zehn Kapiteln, jedes mit einem Imperativ überschrieben, geleitet Pépin den Leser von der Wiege kindlichen Urvertrauens und zwischenmenschlicher Bindung weiter über das Üben, Staunen und spontane Handeln bis hin zu den Gründen für die moderne (Selbst-)Vertrauenskrise.
Zutrauen in das eigene Können und Entscheiden ist laut dem Autor kein Schicksal, sondern ein sozial erworbenes Vermögen. Popkönigin Madonna dient ihm als Beispiel dafür, wie aus einem schüchternen Mädchen eine Diva mit enormer Bühnenpräsenz wurde – weil sie einen Mentor fand, der sie in ihrer Leidenschaft für Tanz und Musik unterstützte. Denn vor allem das eigene lustvolle Tun gebiert Selbstvertrauen.
Manche Kapitel wie »Bewundere« und »Staune« oder auch »Lege Hand an« sowie »Schreite zur Tat« scheinen auf den ersten Blick thematisch sehr ähnlich gelagert. Doch Pépin gelingt das Kunststück, ohne viel Redundanz und Poesiealbumweisheit aufzuklären über Wesen und Quellen unseres Selbstvertrauens. Im Zentrum steht dabei die Einsicht, dass Selbstvertrauen viel weniger mit einem selbst zu tun hat als mit der Erfahrung des Vertrauens, das andere uns schenken, sowie mit den Beziehungen zu unseren Nächsten und zur Welt. Es gehe letztlich um ein sich Anvertrauen an das Mysterium des Lebens, welches stets von Zufällen und Unwägbarkeiten erfüllt sei.
Zu den aufschlussreichen Begriffsklärungen, die Pépin vornimmt, zählt die von Søren Kierkegaard entliehene Unterscheidung zwischen Wählen und Entscheiden. Ersteres beschreibt ein auf rationalen Kriterien gestütztes Abwägen, Letzteres dagegen die pure Selbstermächtigung, zu tun, was dem eigenen Begehren entspricht. In diesem Akt der Freiheit sieht Pépin das Fundament allen Selbstvertrauens.
Immer wieder bezieht sich der Autor auf historische Vorläufer, von Aristoteles und Epikur bis hin zu Nietzsche, Marx und Lacan. Ein häufiger Ideengeber ist auch der US-amerikanische Dichterphilosoph Ralph Waldo Emerson (1803–1882), dessen Aufsatz »Self-Reliance« zu den wenigen philosophischen Texten zählt, die das Thema explizit behandeln.
Was kann man aus all dem für sich persönlich ziehen? Pépin liefert zwar keine Gebrauchsanweisung fürs Leben, doch seine gelehrte Handreichung kann helfen, althergebrachte Vorstellungen über Selbstvertrauen zu hinterfragen. Das Buch wirkt dabei wie ein aufmunternder Klaps nach dem Motto: Du kannst das, nur Mut!
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