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Eine schwer fassbare Gruppe

Anfang des 20. Jahrhunderts machte der Erkenntnisgewinn in den Naturwissenschaften enorme Fortschritte. Das Wissen rund um Naturphänomene und Mathematik vermehrte sich rasend schnell. Die Philosophie jedoch trat, zumindest in den Augen vieler Wissenschaftler und auch mancher Philosophen, seit Jahrtausenden auf der Stelle.

Im akademischen Umfeld der Wiener Universität wollte man etwas dagegen unternehmen. Daher gründeten im Jahr 1924 der Physiker und Philosoph Moritz Schlick (1882-1936), der Mathematiker Hans Hahn (1879-1934) und der Sozialreformer Otto Neurath (1882-1945) einen philosophischen Zirkel, den "Wiener Kreis". Dieser Zusammenschluss aus Forschern und Denkern unterschiedlichster Disziplinen gilt heute als maßgeblich für die philosophische Richtung des logischen Empirismus. Die Mitglieder wollten, ähnlich wie es in den Naturwissenschaften der Fall war, exakte Kriterien entwickeln, mit denen sich philosophische Methoden als gültig oder ungültig beurteilen lassen. Nach ihrer Auffassung war das eine wichtige Voraussetzung, um die Philosophie an die Erfolge der Naturwissenschaften heranzuführen.

Karl Sigmund, Professor an der Fakultät für Mathematik der Universität Wien, zeichnet im vorliegenden Buch die Denkansätze und die historische Entwicklung dieses Gelehrtenzirkels nach. Dem Wiener Kreis fühlten sich damals zahlreiche Akademiker nahe, obwohl viele von ihnen nie selbst an den Treffen seiner Stammmitglieder teilnahmen.

Unklare Stoßrichtung

Sigmund stellt die Gruppe als losen Zusammenschluss kluger Köpfe der ganzen westlichen Hemisphäre dar. Und genau da liegt das Problem des Buchs. Es wirkt zerfahren und zusammenhanglos, wenn der Autor die zahlreichen Forscher und ihre Biografien nacheinander vorstellt und zu erklären versucht, wie ihre Expertise und Gedanken jahrzehntelang in den Wiener Kreises einflossen. Seine serielle Darstellungsweise macht es schwer, die Informationen zu sortieren, einzuordnen und das Wesentliche daraus zu destillieren.

Das Buch verdeutlicht vor allem, dass der Wiener Kreis ein schwer zu fassendes Konstrukt war, in dem wissenschaftliches, philosophisches ebenso wie politisches Gedankengut unterschiedlichster Akteure zirkulierte. Trotzdem erfährt man als Leser viel darüber, wie Forscher im turbulenten Europa der 1920er und 1930er Jahre arbeiteten und lebten. Der Autor schlägt einen großen Bogen, beginnend bei den späten 1890er Jahren und dem Physiker und Philosophen Ernst Mach (1838-1916), weiter über den Wissenschaftstheoretiker Rudolf Carnap (1891-1970) bis hin zum Philosophen Karl Popper (1902-1994) und seinem Wirken nach dem zweiten Weltkrieg.

In den 1930er Jahren löste sich der Zusammenschluss auf. So wenig greifbar er schon in seinen aktiven Zeiten gewesen war, so wenig gab es eine eindeutige Zäsur an seinem Ende. Vielmehr schwand die Gruppe allmählich dahin, befördert vom um sich greifenden Austrofaschismus und Antisemitismus. Mit dem aufziehenden Nationalsozialismus waren die eher linken und freigeistigen Gesinnungen der Denker nicht unter einen Hut zu bringen. Die Ermordung Moritz Schlicks 1936 gilt als faktisches Ende des Zirkels.

Nichtsdestoweniger hatte der Wiener Kreis großen Einfluss auf die moderne Wissenschaftsphilosophie. Die Arbeiten, die in seinem Umfeld entstanden, prägen auch die analytische Philosophie bis heute. Es lohnt, sich mit der Gruppe zu befassen – doch das vorliegende Werk ist sicher nicht das bestgeeignete, um sich der schwierigen Materie zu nähern.

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