Feldzug gegen Fake-Energiepolitik
Der Verfasser von »Sieben Energiewendemärchen?«, André D. Thess, erkennt den Klimawandel als seriöse wissenschaftliche Erkenntnis an und hält es für unangebracht, den durch Menschen verursachten Anteil abzustreiten. Doch vieles rund um die debattierten Maßnahmen zur Energiewende geht ihm kräftig gegen den Strich. Mit seinem Buch möchte er Widersprüche aufzeigen und dem Leser ein Werkzeug in die Hand geben, um »zwischen echtem Klimaschutz und Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz unterscheiden zu können«. Dabei zeigt er, wie man schon mit grob geschätzten Werten Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit prüfen kann.
Populäre Irrtümer
Drei Beispiele für populäre Irrtümer listet Thess, Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik des DLR, schon im Prolog auf: Wie lächerlich es sei, auf einen Plastikbecher bei Langstreckenflügen zu verzichten; dass es – anders als von der Deutschen Bahn verkündet – rein physikalisch unmöglich ist, 2018 als Bahnreisender mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs gewesen zu sein; zudem handle es sich bei den Besetzern des Hambacher Forsts nicht um Umweltschützer, sondern um »Straftäterinnen und Straftäter«.
In den sieben folgenden Kapiteln rechnet er an Beispielen des »bösen Verbrennungsmotors« und »des guten Elektroautos«, den Dämmmaßvorschriften, den Kosten der Energiewende und dem Flugzeug vor, was an den Emissionseinsparungen dran ist. Und stellt gegen Ende des Buchs Maßnahmen vor, die seiner Einschätzung nach wirklich helfen könnten.
Thess mahnt zu Skepsis bei Faktencheckern und Denkfabriken. So wirft er dem deutschen Recherchezentrum »Correctiv« die Vermischung von Meinung und Fakten vor und dröselt auf, wie Denkfabriken zu ihren Ergebnissen kommen. Er wünscht sich grundsätzlich, dass sachliche Argumente und Meinungen transparenter offengelegt werden.
Doch neben den sachlichen Fakten zählen auch persönliche Vorlieben, die man nicht außer Acht lassen sollte. Denn Thess stellt mehrfach klar, in einer Demokratie sei es das Recht der Bürger, ihre Prioritäten frei zu wählen, an wissenschaftliche Erkenntnisse seien sie nicht gebunden. Ein verkündeter Klimanotstand gefährde daher eine Demokratie, weil man somit den Wählern ihre Entscheidungshoheit entziehe.
Immerzu macht Thess seinen Unmut deutlich, insbesondere in Bezug auf Verbote und Zwänge. So äußert er sich gegen eine vom Staat verordnete Dämmung von Gebäuden. In einer Rechnung stellt er gegenüber, wie viel CO2 durch solche Maßnahmen eingespart werden und wie viel Treibhausgase bei der Herstellung des Dämmmaterials entstehen – was häufig nicht berücksichtigt wird und in etwa den gleichen Anteil ergibt.
Im Kapitel zum Klimawandel betont der Autor, warum es an der Expertise der Wissenschaftler nichts zu rütteln gibt. Dennoch findet er den Umgang mit Skeptikern nicht angemessen, dem Wort Klimaleugner wohne »eine sprachliche Nähe zum Holocaustleugner inne«. Thess nennt sie deshalb »kritische Denker« oder »kritische Forscher«. Trotzdem führt er an Beispielen aus, warum er ihnen eine wissenschaftliche Diskussion über Klimasimulationen verweigert. Es würde auch niemand mit einem Aerodynamik-Experten über die Berechnung der Strömung am Seitenleitwerk eines A350 die unterschiedlichen Strömungssimulationen diskutieren.
In einem Abschnitt geht Thess allerdings mit dem berühmten Klimaforscher Michael E. Mann hart ins Gericht. Er zähle nicht zu der stillen Mehrheit der Klimatologen, die professionell und qualitätsbewusst arbeiten und von der Bevölkerung kaum wahrgenommen werden. Mann gehöre zu denen, die medienwirksam besonders hart mit den »so genannten« Klimaleugnern ins Gericht gehen. Wissenschaftlich greift er den Forscher zwar nicht an, aber Thess verstören insbesondere zwei Vokabeln Manns: »Tollhauseffekt« und der »vergiftete Brunnen«. Ersteres stehe für eine psychiatrische Klinik und überschreite damit die Grenze zwischen Polemik und Verunglimpfung Andersdenkender, womit Mann den Boden demokratischer Debattenkultur verlasse. Zudem schreibt der Klimaforscher, man solle die »mächtigen Interessengruppen der fossilen Brennstoffindustrie in Augenschein nehmen, (…) sie vergiften bereitwillig jeden Brunnen«. Der Ausdruck Brunnenvergiftung (im englischen Original heißt es »poison the well«) stehe für eines der ältesten antisemitischen Vorurteile. Zudem würden die Interessengruppen der erneuerbaren Energieindustrie ebenso vehement ihre Interessen vertreten wie die der fossilen Brennstoffindustrie.
Thess hält »Verbots-Tsumami« gegen ausgiebiges Fleischessen, Langstreckenflüge, das Fahren schwerer Autos, Klimaanlagen oder den Bau großer Betongebäude für wirkungslos. Als Gedankenexperiment stellt er das Wirken einer Art Gott oder »unsichtbaren Hand« vor, die klimaschädliche Stoffe wie Kohle, Öl, Gas und Kalk auf natürliche Art verteuere. So würde der Markt von ganz allein für einen wirksamen und weltweiten Klimaschutz sorgen, effizienter als jede bisherige Klimaschutzmaßnahme. Denn die Beschlüsse von Regierungen sind beeinflussbar: Sie sollen Wähler zufrieden stellen, aber auch Nichtregierungsorganisationen und Lobbyverbände. Wie anfällig Politiker für Letztere sind, habe sich gerade in der Coronakrise bei den Maskendeals offenbart.
Ohne Verbote und Belehrungen könnten Menschen durch eine solche Lösung selbst merken, dass Fleisch teurer ist als Kartoffeln, und Schüler, dass eine Abschlussfahrt in den Thüringer Wald schonender für den Geldbeutel ist als ein Flug nach London. Bei diesen Anmerkungen weiß der Leser oft nicht, ob Thess nicht selbst auch ganz gerne belehren möchte.
Zu kontroversen Diskussionen dienen die Gedanken des Autors auf jeden Fall. Er schreibt mal anekdotisch auflockernd, mal sind einige Gedankengänge schwierig nachzuvollziehen. Seine Faktenchecks sind teilweise stark vereinfacht und enthalten nicht alle Argumente – daher sei angemahnt: Man sollte sie ebenso kritisch lesen, wie Thess es bei anderen tut.
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