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»So weit das Licht reicht«: Tauchgang in die Dunkelheit

Sabrina Imbler reflektiert anhand von Tiefseeorganismen über die eigene Identität. Das ist ein reizvoller Ansatz, der mal mehr, mal weniger gut umgesetzt wird.
Das ROV Deep Discoverer im Atlantik

Das Erste, was an »So weit das Licht reicht« ins Auge fällt, ist das wunderschöne Cover. Aber behandelt das Buch tatsächlich die »Kreaturen der Tiefsee«, wie es der erste Teil des deutschen Untertitels verspricht? Oder geht es nicht viel mehr darum, was diese Wesen Sabrina Imbler »über das Leben erzählen«? Zumindest im herkömmlichen Sinne ist »So weit das Licht reicht« tatsächlich kein Naturbuch, in dem Tiere und ihre Biologie im Vordergrund stehen. Vielmehr präsentiert es voneinander weitgehend unabhängige Kapitel, die sich am ehesten als Essays bezeichnen lassen. In jedem von ihnen widmet sich Imbler einem Meerestier und verknüpft dieses mit einer Phase im eigenen Leben. Das ist eine reizvolle Idee, die in den einzelnen Essays mal mehr, mal weniger gut umgesetzt wird.

Da die Texte sehr persönliche Lebenserfahrungen Imblers beleuchten, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf Imblers Lebensumstände zu werfen. Sie wohnt in Brooklyn und arbeitet, so ihre Selbstbeschreibung, als »Schriftsteller:in« und »Wissenschaftsjournalist:in«. Ob sie Biologin ist oder etwas Vergleichbares studiert hat, bleibt unklar. Zumindest im College scheint sie sich mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen beschäftigt zu haben. Heute veröffentlicht Imbler Essays und Reportagen unter anderem in der »New York Times« und in populärwissenschaftlichen Magazinen wie »The Atlantic«, »Catapult« und »Sierra«. Für das vorliegende Buch entscheidender ist aber, dass Imbler sich als nicht binär einordnet und zudem Halbasiatin ist. Beides bekommt breiten Raum in den Texten. Wer das Buch liest, sollte deshalb kein Problem mit Gender-Doppelpunkten und Neopronomen für nicht binäre Personen haben, die im englischen Original stehen bleiben.

Tiefseeorganismen und die queere Community

Man merkt den Texten deutlich an, dass sie für ein US-amerikanisches Publikum geschrieben wurden. Anders als in einem Roman oder einem Sachbuch bauen sie inhaltlich nicht aufeinander auf; vieles dem hiesigen Publikum vielleicht kaum oder gar nicht Bekannte wird nicht erklärt. So wird der deutsche Leser oft regelrecht hineingeworfen in Orte oder Lebenssituationen Imblers. Ebenfalls sehr amerikanisch muten manche Ausführungen über Eliteschulen und den Leistungsdruck einer Einwanderertochter an – bis hin zum Schlankheitswahn mit extremen Crash-Diäten, die durchgeführt werden, um einem Ideal zu entsprechen und/oder »dazuzugehören«. Beherrscht werden viele Texte zudem von Imblers Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und dem Wunsch der Zugehörigkeit zu einer queeren Gemeinschaft.

Das Buch mag seinen Reiz haben, wenn man sich berieseln lassen und in eine zweifach fremde Welt – die der Tiefseeorganismen und die der queeren Community – eintauchen möchte. Über die Tiere erfährt man aber wenig, meist steht ihre poetische Funktion im Vordergrund. Tierisches Verhalten wird stark vermenschlicht beziehungsweise sogar nach eigenen Wünschen interpretiert oder der Geschichte angepasst. Das alles muss nicht stören, wenn man kein Naturbuch erwartet, sondern bereit ist, sich an Imblers Sprache zu berauschen und sich der Faszination für das Unbekannte zu überlassen.

Am Ende stellt sich dennoch die Frage, für wen »So weit das Licht reicht« geschrieben wurde. Am ehesten in der Lektüre wiederfinden werden sich wohl Menschen, die ähnliche Selbstfindungsprozesse durchmachen wie Sabrina Imbler, oder Menschen, die sich von Meerestieren faszinieren lassen wollen, ohne intensiver über sie nachzudenken.

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