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Fortschritt ist, wenn sich die Fitness steigert

Wir versuchen uns immer weiter zu steigern und zu verbessern: sei es beim Sport, beruflich oder in der Partnerschaft. Wie lässt sich das soziologisch begreifen?

Wir tracken Jogging-Routen in der Lauf-App, kochen mit Superfoods und pauken auf dem Ergometer Vokabeln – die Rede ist von Selbstoptimierung. Über das Phänomen wurde viel geschrieben, es gibt massenhaft Forschungsliteratur, doch in den Sozialwissenschaften klafft immer noch eine Lücke – zumindest, was eine systematische Darstellung des Themas betrifft. Diese versucht Anja Röcke in ihrem Buch »Soziologie der Selbstoptimierung« zu schließen. Ausgehend von einer begriffshistorischen Perspektive zeichnet die Autorin nach, wie sich die Idee der Selbstverwirklichung in der westlichen Moderne entwickelt hat, um sie schließlich in der kultursoziologischen Diskussion zu verorten.

Optimierung in gesellschaftlichem Kontext

Röcke, die an der Humboldt-Universität zu Berlin Soziologie lehrt, zeigt, wie sich mit der Jahrtausendwende in Deutschland und in anderen Ländern die Optimierungssemantik vom »technisch-betriebswirtschaftlichen« Gebiet auf andere gesellschaftliche Bereiche ausgedehnt hat. War Optimierung vormals meist mit Begriffen wie Arbeits- und Produktionsabläufen oder Kostenstrukturen assoziiert, tauchte der Begriff nun auch in den bioethischen Debatten im Zusammenhang mit Gentechnik oder Präimplantationsdiagnostik auf.

Selbstoptimierung bedeutet für Röcke, »dass sich die Optimierungsbestrebungen auf das Selbst, also auf die eigene Person richten«. Das wirke nicht nur individualisierend, sondern auch vergesellschaftend: »Über selbstoptimierende Praktiken lässt sich eine Form der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen herstellen, etwa wenn im Fitnessstudio der Anschluss an diejenigen gesucht wird, die leistungssteigernde Mittel konsumieren.«

Die Idee, das Selbst zu optimieren, hat historisch viele Vorläufe – von der Körperkultur in der griechischen Antike bis hin zu den totalitären Ideologien vom »Neuen Menschen« im 20. Jahrhundert. Antike Olympioniken mussten Ernährungsvorschriften wie Fleischdiäten einhalten und einem strengen Übungsplan folgen, erklärt die Autorin. Auch das Anti-Aging lässt sich genealogisch auf die Gesundheitsprophylaxe und Kosmetik im alten Ägypten zurückführen. Trotzdem will Röcke die Selbstoptimierung als ein Phänomen der westlichen Moderne verstanden wissen, denn objektive Leistungsmessung und -steigerung sowie der Begriff »Fitness« seien erst im 19. Jahrhundert aufgekommen. Mit dem Fortschrittsgedanken entstand schließlich die »Idee eines potenziell grenzenlosen Strebens nach einem besseren Zustand«.

Davon ausgehend entwickelt Röcke die schillernde These, Selbstoptimierung stelle die »Endmoräne des Fortschritts« dar: »Wo der Traum vom gesellschaftlichen Traum ausgeträumt ist, bleibt nur mehr die Hoffnung auf individuelle Selbstverbesserung und Selbstoptimierung.« Die Arbeit an sich selbst sei »ein bescheiden gewordenes, abgemildertes und nachsichtiges Menschenverbesserungsprogramm, das nicht das ›Äußerste‹ anstreben muss und so alle ›durchschnittlich Begabten‹ zum Mitmachen einladen und animieren kann«. Zugespitzt: Fortschritt ist, wenn sich die Fitness steigert. In einer Welt, in der die großen Erzählungen vorbei sind, wird der menschliche Körper zum Projekt – zur Werkstatt (Stichwort Bodytuning). Daher auch die Idee der Effizienzsteigerung, der Rückgriff auf Technologien des Selbst (Foucault), die sich am deutlichsten in der Quantified-Self-Bewegung offenbart: Man stellt sich den eigenen Körper als eine Fabrik vor, deren Output permanent gemessen und analysiert wird.

Diese Ökonomisierung des Sozialen, die der Soziologe Ulrich Bröckling mit der griffigen Formel des »unternehmerischen Selbst« beschrieben hat, ist für Röcke die unmittelbare Fortsetzung kapitalistischer Arbeitsformen – mit dem Unterschied, dass kein äußerer Zwang für normkonformes Verhalten sorge, sondern »die Inkorporierung gesellschaftlicher (das heißt unternehmerischer) Normen, für deren Einhaltung im Zweifel wachsende Konkurrenz- und Wettbewerbsverhältnisse sorgen«. Der Vorarbeiter muss nicht mehr mit der Stoppuhr am Fabrikband stehen, weil die konkurrierenden Ich-AGs ihre Leistung selbst optimieren. Der Einzelne diszipliniert sich selbst.

Diese Verlagerung von Fremd- zu Selbsttechniken bedeutet für Röcke keinen Freiheitsgewinn, vielmehr geht sie mit neuen Kontroll- und Abhängigkeitsstrukturen einher: »Entstehende Freiheitsräume werden immer direkt wieder kassiert und die Freiheit selbst erscheint als Zwang.« Die »Selbstverhältnisse« in einer »umfassend ökonomisierten Welt« könnten daher nur heteronom sein, so das Urteil der Soziologin.

Anja Röcke hat ein sehr kluges Buch vorgelegt, das das Phänomen der Selbstoptimierung in all seinen Facetten ausleuchtet. Vor allem die Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit, was Optimum bedeutet und was es eigentlich zu optimieren gilt, ist überzeugend. Allerdings hätte man sich gerade im letzten Drittel, wo es um den analytischen Kern geht, noch mehr Mut zur These gewünscht. Dass Selbstoptimierung nicht nur das Selbst, sondern auch die Gesellschaft stabilisiert, ist eine Beobachtung, die mehr Vertiefung verdient. Vielleicht muss man sich den Kilometerfresser auf dem Laufband am Ende doch als glücklichen Menschen vorstellen.

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