Schrottplatz für Atom-U-Boote
Der Treffpunkt konnte kaum versteckter liegen. Am Rande der Rocky Mountains, in einem nur während der Ferien von Skifahrern besuchten Ort, trafen sich die Vertreter der westlichen Industrienationen mit denen Russlands zum G7-Gipfel 2002. Es herrschte die Angst vor dem internationalen Terrorismus. Daher beschlossen die Anwesenden, befeuert vom damaligen Bundeskanzler Schröder, 20 Milliarden Dollar an Russland zu zahlen. Das Geld sollte einer »globalen Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen« zu Gute kommen, um alte Atom- und Chemiewaffen sicher zu beseitigen oder zu lagern. Deutschland beteiligte sich mit fünf Milliarden Euro. 600 Millionen davon sollten in ein Projekt im militärischen Sperrgebiet Murmansk fließen. Dort lagern, unter schlecht kontrollierten Bedingungen, ausgemusterte Atom-U-Boote der russischen Flotte.
Autor Michael Schmidt durfte das Projekt 12 Jahre lang als Journalist begleiten. In dem Buch berichtet er von seinen Vor-Ort-Besuchen im Sperrgebiet. Der Schiffsfriedhof dort sei zugleich die wohl größte atomare Müllkippe der Welt, wie es im Vorwort von Matthias Platzeck heißt.
Erfahrungen im KKW-Rückbau
Schmidt erzählt, wie der Technologie- und Geldtransfer zwischen Deutschen und Russen zustande kam, und wie Spezialisten für den Abriss von Kernenergieanlagen gefunden wurden. Diese Kompetenz war damals nicht gerade häufig anzutreffen. Doch als die Schließung des Kernkraftwerks Greifswald (beziehungsweise Lubmin) beschlossen wurde, managten die Mitarbeiter den Rückbau und erwarben dabei wertvolles Wissen. Zusammen mit guten Kenntnissen der russischen Sprache machte sie das zu idealen Partnern der Russen.
Anschaulich beschreibt der Autor seine zahlreichen Besuche in Murmansk, indem er etwa schildert, wie er bei minus 15 Grad Celsius inmitten weißer Schneepracht die morschen U-Boote im Hafen vertäut sah. Manche wurden bewusst versenkt oder sanken von allein. Welche gewaltigen ökologischen Probleme das mit sich bringt und welch große Aufgaben daraus erwachsen, geht aus dem Buch klar hervor. Dazu tragen ein historischer Rückblick auf die Gegend und ein Einblick in den Murmansker Lebensalltag bei, ebenso wie Geschichten von deutschen Technikern oder einer Juristin, die mit einschlägigen Verträgen befasst ist. Schwarzweißfotos von Menschen und technischen Anlagen bebildern das Buch. Die Partnerschaft zwischen Russen und westlichen Industrienationen sieht Schmidt nicht nur in den Ängsten nach 9/11 begründet, sondern auch in den häufiger werdenden, kriminellen Verkäufen von Plutonium und angereichertem Uran auf dem »Nuklearbasar Russland«.
Im Buch heißt es, die radioaktive Strahlung der Schrott-U-Boote werde (nachdem die Reaktoren ausgebaut wurden) erst in siebzig Jahren abgeklungen sein. Wer allerdings genauere technische Angaben sucht, wird enttäuscht. Auch die Sicherheitsmaßnahmen für die Arbeiter vor Ort beschreibt der Autor lediglich mit »es wird ständig kontrolliert«, oder indem er angibt, die Dosis betrage »ein Zehntel des Grenzwerts«. So bleiben die Ausführungen leider sehr vage, auch wenn Schmidt die Relevanz des Themas unablässig betont. Nur im Schlusskapitel thematisiert er kurz die radioaktive Umweltverseuchung unter Wasser mit der Gefahr einer selbsterhaltenden Kettenreaktion.
Man merkt dem Autor seine Parteinahme für die deutsch-russische Zusammenarbeit deutlich an, daher sollten interessierte Leser weitere Literatur hinzuziehen, um sich eine fundierte Meinung zu bilden. Hinsichtlich eines kritischen »Spiegel«-Artikels von 2005 äußert sich Schmidt verärgert, indem er die »Hamburger Skandaleure« in die »Horde der Berufsnörgler eingereiht« sieht, die »als Erste ihr Näschen rümpften«. Die Spiegel-Journalisten hatten sachliche Bedenken geäußert und über »fraternisierendes Wodkatrinken« geschrieben und waren fortan in Russland unerwünscht. Auch wenn er dagegen (vergeblich) interveniert habe, verstehe er die Reaktion der Russen, so Schmidt.
Das Buch ist dennoch informativ und vermittelt einen Einblick ins Thema. Flott zu lesen ist es allemal. »Sperrzone Murmansk« sensibilisiert für ein wichtiges Problem, dass nicht nur im Hinblick auf Russland brisant ist. Es bleibt aber auch hier leider weiterhin aktuell: Im April dieses Jahres ist ein neues russisches Atom-U-Boot vom Stapel gelaufen.
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