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»Spiele der Sprache«: Sprachphilosophie im Geiste Herders

Martin Seels Buch richtet sich primär an Fachphilosophen. Als Einführung in die Sprachphilosophie hat es Stärken. Gedankenführung und Stil hätten aber durchaus eigenständiger ausfallen dürfen.
Was beim Sprechen im Kopf passiert

Sprache macht uns zu Menschen. Zwar können auch Tiere wenige menschliche Wörter lernen oder mittels Signalen kommunizieren. Aber unsere Fähigkeit, Wörter nach bestimmten Regeln zu kombinieren und mit ihnen Kultur zu erzeugen, unterscheidet uns von anderen Spezies. Mühelos erlernen Kinder die Sprache ihrer Kultur, auch mehrere Sprachen gleichzeitig. Wie, das zeigen aktuelle Untersuchungen mit Magnetresonanztomografen (MRT).

Fern solcher modernen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse zu Sprache und Spracherwerb philosophiert Martin Seel in »Spiele der Sprache«. Das Buch des emeritierten Frankfurter Philosophen ist äußerst traditionell angelegt und verliebt in die großen Namen der Philosophiegeschichte: von Herder über Humboldt, Hegel, Frege, Heidegger und Adorno bis hin zu Habermas, Gadamer, Searle, Merleau-Ponty und dem Kanadier Taylor.

Seel gliedert sein Buch in drei Abschnitte. Den ersten Teil widmet er der klassischen Sprachphilosophie, indem er verschiedene Etappen ihrer Geschichte seit dem 18. Jahrhundert rekapituliert. Er beginnt natürlich bei Herders Abhandlung über den Ursprung der Sprache und der Frage, ob Poesie oder Prosa ihren Ursprung bilde. Über Wilhelm von Humboldts Überlegungen zu Sprache und Denken kommt er dann zu späteren Diskursen über Wort, Satzbildung, Kontext, über Macht und Gegenmacht sowie Sinn und Zweck von Sprache. In diesem Teil navigiert Seel gekonnt durch die zum Teil sehr gegensätzlichen Auffassungen in den Debatten bis ins 20. Jahrhundert.

Der zweite Teil des Buches ist Ludwig Wittgenstein gewidmet, dem wohl wichtigsten Sprachphilosophen des 20. Jahrhunderts, und seiner Grundannahme, die Sprache und Spiel beziehungsweise Sprechen und Spielen gleichsetzt. Seel beschränkt sich auf einen einzigen Paragraphen der »Philosophischen Untersuchungen«, § 531, der sich mit der Frage vom »Verstehen eines Satzes« befasst, sei es, dass der Satz durch andere Sätze ersetzt werden könne oder »in welchem er durch keinen anderen ersetzt werden kann«. Von hier aus erschließt sich der Autor Wittgensteins Schriften und vertieft die Reflexionen zu Prosa und Poesie, erweitert um Fragen zum Verstehen von Gedanken, Sprachspielen und Spielregeln. Auf 180 Seiten interpretiert Seel ausführlich Wittgensteins Sprachphilosophie in der Auseinandersetzung unter anderem mit Frege und weiteren Philosophen.

Der dritte, kürzere Teil ist »Nachbetrachtungen« gewidmet. Hier geht es aphoristisch um Gesten, Stimmen, Musik, Künste, Denken, Handeln, ja sogar um Freiheit und Demokratie. Demokratie ist für Seel wie für Herder ein zentraler Aspekt der Überlegungen zur Sprache: »Sprache kennt – wie die Demokratie – keinen Idealzustand: das ist ihr bester Zustand«, lautet sein Schlusssatz.

Sehr viel Tradition

Seel zeigt sich als Kenner der Sprachphilosophie der letzten 250 Jahre. Er verarbeitet in seinem Buch eine Fülle an Material. Ein ausführliches Literatur- und Namenverzeichnis erleichtert die Orientierung im Buch; man kann seine Quellen gut nachvollziehen. Erfreulich ist auch, dass die Anmerkungen jeweils auf derselben Seite stehen, so dass lästiges Blättern nach hinten unterbleiben kann.

Das Buch ist für Fachphilosophen geschrieben. Es ist keine leichte Lektüre. Es kann zwar als Wegweiser zwischen den Auffassungen bekannter Philosophen gelesen werden, aber: »Ohne Vorverständnis kein Verständnis«, schreibt Seel an einer Stelle. Zudem zitiert und kommentiert er seine Quellen in einer Weise, bei der man seine eigene Stimme lange zu vermissen glaubt. Er »mimetisiert« die zitierten Autoren, ahmt sprachlich nach, wen er gerade kommentiert, ob Herder oder Humboldt, Habermas oder Frege. Im zentralen Wittgenstein-Kapitel nummeriert er wie dieser in den »Philosophischen Untersuchungen« die Absätze durch. Dennoch vermisst man bei Seel tatsächlich »Sprachspiele«, die einen, im Sinne Wittgensteins, verblüffen und ungewöhnliche Erkenntnisse vermitteln können.

Wenn des Autors Stimme durchklingt, äußert sie entweder Plattitüden über Sprache und Sprechen oder verrätselt sich in Zitaten berühmter Theoretiker. In einem Gespräch über das Buch mit dem »Philosophie Magazin« hat Seel unlängst Herders Abhandlung zur Basislektüre erklärt. Sein eigenes Buch ist dagegen ein für das heutige Verständnis letztlich in sich redundanter und verschlungener Text. Man muss schon sehr in den Diskursen des 18. Jahrhunderts zu Hause sein, um Herder zu verstehen. Und das gilt letztlich auch mit Blick auf Martin Seel, der sich als eine Art moderner Wiedergänger Herders präsentiert.

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