Verfällt unsere Sprache?
Das Lamento, mit der Sprache gehe es immer weiter bergab und künftige Generationen würden vermutlich überhaupt nur noch brabbeln, dürfte schon jahrtausendealt sein. Heutzutage kann man es vorwiegend in der Ausführung »Daran sind die Medien schuld!« vernehmen.
Kein negativer Einfluss auf die Schriftsprache
Der ehemalige Journalist Gunter Reus, der inzwischen Professor am Institut für Journalistik und Kommunikationsforschung in Hannover ist, erklärt, ein negativer Einfluss auf die Schriftsprache sei nicht zu erkennen. Kritik an der Sprache der Medien pflege aus einer dezidiert antidemokratischen Ecke zu kommen, schließlich habe es Sprachwandel immer schon gegeben und werde von den Medien nicht verursacht, sondern höchstens aufgegriffen und verstärkt.
Bei der Frage, ob und inwieweit Medien für Sprachwandel verantwortlich sind, ist Reus leider nicht ganz konsequent. Einerseits stellt er fest, Medien griffen nur bestehende Tendenzen auf, andererseits führt er aus, sie hätten einen wesentlichen Beitrag zur Homogenisierung der deutschen Standardsprache geleistet und trügen dazu bei, sprachliche Innovationen durchzusetzen. Diese aber seien für »Wandel und Erhalt« essenziell, denn nur, was sich wandle, könne bestehen bleiben. An anderer Stelle rechnet er es den Medien jedoch hoch an, dem Konjunktiv der indirekten Rede ein »Refugium« zu bieten; womit er unter der Hand doch wieder einräumt, dass Sprachwandel auch eine Verarmung an Ausdrucksnuancen bedeuten kann.
In den folgenden Kapiteln fragt Reus, was Sprache in unterschiedlichen Medien – etwa dem Internet, der Werbung und Propaganda – ausmache. Dabei liegen ihm besonders die Leistungen des Journalismus (aus Reus' Sicht: Verständlichkeit und Demokratisierung) am Herzen. Dieses Kapitel ist das umfangreichste. Hier ist der Autor in seinem Element: Seine Charakterisierung verschiedener Textformen an überzeugend ausgewählten Beispielen schärft den Blick für gute und schlechte Artikel, was man in Zeiten von »Fake News« und eines Claas Relotius nicht hoch genug einschätzen kann. Speziell sein kurzes Referat über Ergebnisse der Verständlichkeitsforschung ist instruktiv und erhellend: Dass man Leser nicht nur verliert, wenn man sie über-, sondern auch unterfordert, möchte man manch einem Journalisten ins Stammbuch schreiben.
Aus der Reihe fällt das Kapitel »Sprache im Internet« – schon aus dem Grund, weil man es auf Facebook, Twitter und dergleichen nicht vorrangig mit Kommunikationsprofis zu tun hat. »Wenn man Lust am Schreiben als Indikator für intakte Kommunikation begreift«, so Reus, gebe es »keinen Anlass zur Sorge«. Das greift aber doch ein bisschen zu kurz. Dass allenthalben hingebungsvoll gechattet, getwittert, gewhatsappt wird, heißt nicht, dass es mit den schriftsprachlichen Kompetenzen – die weit über Dudenkonformität hinausgehen – besonders gut steht.
Selbst wenn man nur auf sprachliche Korrektheit im Rahmen des hochdeutschen Standards achtet, kann man Reus' Optimismus nicht uneingeschränkt teilen. Eines der führenden deutschen Nachrichtenmagazine wusste erst jüngst von einem dramatischen Verfall der Rechtschreibung und Grammatik im Vergleich zu Abiturklausuren der 1980er Jahre zu berichten. Da liegt dann der Verdacht, die Mediennutzung hänge damit zusammen, nicht so ganz fern – vielleicht weniger, weil die Medien ein schlechtes Beispiel gäben, sondern weil die Lektüre komplexerer Texte angesichts unzähliger medialer Unterhaltungsangebote zunehmend in den Hintergrund gerät.
Man muss einem Autor aber nicht in allen Punkten zustimmen, um sein Buch mit Gewinn und Genuss zu lesen. Dass ein gelungener Text nicht nur gut verständlich, sondern auch ästhetisch ansprechend gestaltet sein sollte, sagt Reus nicht nur – er führt selbst vor, wie das geht. Und das ist gewiss keine geringe Leistung.
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