»Stadtnatur«: Die Stadt als Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen
Füchse in Berlin, Biber in München und Wanderfalken in Köln: Seit Jahren zieht es immer mehr Wildtiere in deutsche Städte. Etwa in Gärten oder Mülltonnen finden viele von ihnen Nahrung sowie Unterschlupf und das Klima ist milder als auf dem Land. Auch sind Wildtiere in der Stadt zumindest derzeit noch meist vor Menschen, die Jagd auf sie machen, geschützt.
Vorstellungen wie die der »schmutzigen Metropole«, der häufig »die gute Landluft« entgegengestellt wird, sind laut dem Biologen Josef H. Reichholf deshalb überholt. Vielmehr vermischen sich »Stadt« und »Natur« auch durch den Lebensraumverlust vieler Arten immer mehr, was der Titel seines neuen Buchs, das im Oekom-Verlag erschienen ist, treffend widerspiegelt. In »Stadtnatur« spricht Reichholf sich dafür aus, Tiere und Pflanzen – ob heimisch oder invasiv – im urbanen Raum zu erleben und zu fördern.
Anderswo bleibt wenig Platz
Warum aber wählt Reichholf dafür ausgerechnet Städte und nicht etwa Schutzgebiete aus? Letztere nehmen ihm zufolge insgesamt zu wenig Raum in Deutschland ein, sind zu wenig vernetzt sind und erlauben, je nach Art des Gebiets, trotzdem noch für die Artenvielfalt schädliche Eingriffe wie übermäßiges konventionelles Düngen. Tatsächlich hinkt Deutschland laut einer Studie bei der Ausweisung strenger Naturschutzgebiete EU-weit hinterher. Verbände wie der NABU kritisieren zudem, dass die bestehenden Gebiete ihre Schutzfunktion nicht ausreichend erfüllen.
Vor allem gut mit ihrem Umland vernetzte Städte wie Berlin bieten Tieren hingegen die Möglichkeit, neue Lebensräume zu erschließen, so Reichholf. Vögel, Säugetiere und Insekten finden in naturnah gestalteten Gärten, auf Balkonen und Grünflächen – anders als beispielsweise auf intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen und in Wäldern – eine neue Heimat, was auch an der oft tierlieben Stadtbevölkerung liege. Potenzielle Gefahren wie der Straßenverkehr würden dabei weniger stark ins Gewicht fallen als auf dem Land, weil die Menschen mit niedrigeren Geschwindigkeiten führen und tendenziell eher Rücksicht auf Tiere nähmen.
Das heißt nicht, dass der urbane Raum frei von Gefahren für sie wäre. An verglasten Bürotürmen zum Beispiel sterben jedes Jahr unzählige Vögel. Auch die Nachverdichtung sieht Reichholf kritisch. Sie verstärke den Druck auf innerstädtische Erholungsräume wie Liegewiesen und Erholungsgebiete im Umland, zu denen es am Wochenende viele Menschen zieht.
Freiflächen, auf denen zum Beispiel auch Wildpflanzen wachsen können, könnten dagegen mehr Lebensqualität in überfüllten Städten schaffen. Reichholf plädiert deshalb dafür, die Natur in die Stadtplanung einzubeziehen und etwa städtische Biotope zu errichten, um die sich engagierte Anwohnerinnen und Anwohner kümmern könnten. Auch macht er einige Vorschläge, um Ärgernisse zwischen Menschen und Tieren zu verringern – wie Ausweichstellen für die inzwischen in vielen Städten lebenden Wildgänse und ihren Nachwuchs –, und spricht sich dafür aus, invasive Arten wie den aus China stammenden Schmetterlings- oder Sommerflieder (Buddleja davidii) nicht pauschal zu verurteilen, da er für Insekten mittlerweile eine notwendige Nahrungsquelle darstelle.
In Zeiten des Artenschwunds und der Verstädterung leistet das Buch einen wichtigen und in Teilen sicher kontroversen Beitrag. Reichholf argumentiert dabei aber durchdacht und nimmt keine pauschale Verurteilung des Landlebens vor. Leider fokussiert er sich bei seinen städtischen Beispielen aber recht stark auf München, was – wie er selbst anmerkt – daran liegt, dass er jahrzehntelang in der bayrischen Hauptstadt gewohnt hat. Dass Städte genau wie ihre menschlichen, tierischen und pflanzlichen Bewohnerinnen und Bewohner sehr verschieden sind, ist ein ebenso offensichtlicher wie entscheidender Faktor in der Gestaltung einer lebenswerten Zukunft für alle.
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