Faszinierendes Nass
Wir Menschen erleben den Wasserplaneten Erde überwiegend als Festlandsbewohner. Um das (über)lebenswichtige Wasser zurück in unseren Fokus zu rücken, hat der Biologe und renommierte Sachbuchautor Bruno P. Kremer dieses Buch vorgelegt. Auf knapp 200 reich bebilderten DIN-A4-Seiten befasst er sich ausführlich mit dem Stoff und führt seine Leser zunächst detailreich in die physikalischen und chemischen Geheimnisse des Wassermoleküls ein, bevor er sich den zahlreichen Formen der Stillgewässer zuwendet, wie es der Buchtitel verspricht.
Der Mensch habe seine Abhängigkeit vom Wasser immer schon sehr stark empfunden, beginnt Kremer seine Ausführungen. Davon zeuge die Verehrung der Substanz in zahlreichen Mythen und Religionen; etwa bei der christlichen Taufe oder in den rituellen Waschungen der Juden, Muslime und Hindus. Auch in Kunst und Sprache, etwa in Ortsbezeichnungen, sei das Wasser sehr präsent. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts habe die Naturwissenschaft begonnen, dessen Stoffeigenschaften zu untersuchen. Die antike Elementelehre von Erde, Wasser, Luft und Feuer konnte in Zeiten der Aufklärung keine befriedigenden Antworten mehr liefern.
Bei 4 Grad Celsius am dichtesten
Hierauf lässt der Autor einen »physiko-chemischen Ausflug« folgen, den er mit dem Urknall und der Entstehung des Wasserstoffs beginnt. Weiterhin beschreibt er den Dipolcharakter des Wassermoleküls samt dessen Neigung, Wasserstoffbrückenbindungen auszubilden; er vermittelt, dass es mehrere Sorten von Wassermolekülen gibt, je nach beteiligten Isotopen; er geht auf Kohäsions- und Adhäsionskräfte und schließlich auf die thermische Anomalie des Wassers ein. Kremer besitzt genug didaktische Expertise, um diese Themen unterhaltsam aufzuarbeiten. Viele vertraute Phänomene, beispielsweise der Flüssigkeitstransport von der Pflanzenwurzel bis zur Triebspitze, das Gleiten von Insekten auf einem Tümpel oder das Schwimmen von Eisdecken auf Gewässern, werden mit diesen Informationen erklärlich.
Mit beeindruckenden Zahlen und launigen Vergleichen gibt der Biologe anschließend einen Eindruck von den Dimensionen des globalen Wasserkreislaufs. So beschreibt er die von der Sonne angetriebene Verdunstung, die jährlich weltweit etwa 500 000 Kubikkilometer Wasser bewegt, als großräumig ablaufenden Destillationsprozess. Der Meeresspiegel würde dabei pro Jahr um 1,25 Meter fallen, wenn das Wasser nicht über Niederschläge und Flüsse ständig wieder in die Ozeane zurückkäme. Spannend ist, dass die gesamte Wassermenge aller Ozeane einmal in 3100 Jahren durch die Atmosphäre wandert oder dass sich verdunstetes Wasser im Schnitt nur elf Tage in der Atmosphäre aufhält, bis es erneut als Niederschlag auf die Erde fällt.
Nach dieser detaillierten Vorbereitung geht Kremer zu verschiedenen Gewässertypen und ihrer Entstehungsgeschichte über. Seinen Unterscheidungen zwischen tektonisch, vulkanisch oder eiszeitlich entstandenen Seen stellt er jeweils Fallbeispiele zur Seite. Besonders ausführlich berichtet er über die Gegebenheiten im und um den Laacher See in der Vulkaneifel; schon 2015 war er an einem Buch hierzu beteiligt (»Magie der Vulkaneifel«, WBG Theiss). Aber natürlich behandelt er auch den Bodensee, den größten See Deutschlands. Als nützlich erweist sich seine saubere Definition der verschiedenen Arten von Stillgewässern, darunter Tümpel und Pfützen als vorübergehend wasserführende Kleingewässer, sowie permanent wasserführende Gewässer wie Seen, Weiher, Teiche und Talsperren.
Von Absatzbecken bis Zellvakuole führt der Autor jeden nur denkbaren Stillgewässer-Typ auf und beschreibt ihn. Beim Lesen erfährt man etwa viel über die jahreszeitenabhängige Zirkulation eines Sees oder über seine vertikale und horizontale Gliederung in Teilbereiche. Wie Tiere im Wasser atmen, erklärt dieser Abschnitt genauso wie den Mechanismus, mit dem Seerosen über mehrere Meter hinweg ihre Teile am Seegrund mit Sauerstoff versorgen. Schließlich benennt der Biologe die diversen tierischen Wasserbewohner, erläutert ihre Lebens- und Fortbewegungsweisen, hebt dabei die enorme Bedeutung des Planktons hervor oder erläutert den Lebenszyklus von Libellen. Unterhaltsame Geschichten und Anekdoten runden das Ganze ab – unter anderem stellt Kremer einen Bezug zwischen Pantoffeltierchen und U-Booten her.
Kremer wäre nicht der leidenschaftliche Pädagoge, als den man ihn kennt, wenn er es nicht auch in diesem Buch darauf anlegte, die Leser vom Sofa hinaus in die Natur zu ziehen. Sein Schwärmen von der besonderen Ruhe, die Stillgewässer gemeinhin umgibt, lässt die Planung der nächsten Reise garantiert nicht unbeeinflusst. Trotz nicht weniger Fehler auf Grund schwachen Lektorats ein sehr empfehlenswertes Buch.
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