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Was der Klimawandel für uns tun kann

Klimawandel ist kein zu lösendes Problem – und schon gar keins, das sich nur aus einer Perspektive angehen ließe, wie wir es zurzeit mit der Fokussierung auf den Kohlendioxid-Ausstoß tun. Das schreibt Mike Hulme, Gründungsdirektor des Klimaforschungszentrums Tyndall an der University of East Anglia (England) und seit 2013 Professor für Geographie und Kultur am King´s College London. Die Treibhausgas-Emissionen, so Hulme, würden weiter steigen, ebenso die globalen Temperaturen und der Meeresspiegel. Denn um das zu verhindern, seien die Menschen zu uneins.

Hulme hält es deshalb für zu kurz gegriffen, Klimawandel allein als Umweltproblem zu verhandeln, das nach einer – möglichst finalen – technischen oder politischen Lösung verlangt. Vielmehr böte der Dissens unserer Sichtweisen die Gelegenheit, tiefer in die Problematik einzutauchen und grundsätzlich über unsere Überzeugungen, Werte, Einstellungen, Sehnsüchte und Verhaltensweisen zu diskutieren. Zusammen mit 13 weiteren renommierten Forschern gehört der Autor zu den Verfassern des sogenannten Hartwell Papers von 2010, das eine radikale Neuausrichtung der Klimapolitik fordert.

Eine Frage der Anschauung

Im vorliegenden Buch legt Hulme detailliert und kenntnisreich viele Interpretationen und Überzeugungen zum Klimawandel dar. Er beleuchtet die verschiedenen Rollen, die Wissenschaft, Ökonomie, Religion, Psychologie, Medien und Politik in der Klimawandeldebatte spielen. Dabei kommt er zum Schluss, unsere Uneinigkeit beruhe darauf, dass die Fakten zum Klimawandel von jedem Menschen anders interpretiert werden, abhängig von seinem sozialen, politischen, kulturellen und ethisch-religiösen Hintergrund. Woraus wiederum unterschiedliche Handlungsstrategien resultierten. So sei "jemand, der das globale Klima als instabil und leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen betrachtet, (...) eher dazu geneigt zu glauben, dass wir uns einem Kipppunkt bezüglich des Eismantels oder der Ozeanströmungen nähern, als jemand, der die Natur als gutartig und tolerant wahrnimmt". Aber auch unsere Werte- und Glaubensvorstellungen bestimmten entscheidend über die Schlüsse, die wir ziehen. Daraus erkläre sich, dasss, "wenn Wissenschaft mit tief empfundenen Werten und Anschauungen zusammenstößt, (...) nicht immer die Wissenschaft triumphiert". Dies umso weniger, als auch Forscher sich mit ihren unterschiedlichen Modellen uneins seien.

Leider liefert Hulme angesichts der sich abzeichnenden klimatischen Veränderungen keine Handlungsempfehlungen. Bereits im Vorwort betont er, kein Manifest politischen Handelns geschrieben zu haben. Vielmehr möchte er den Leser davon überzeugen, das Phänomen Klimawandel nicht ausschließlich in seiner physikalischen Natur, als "Wandel in der Abfolge von Wetter", zu betrachten, sondern auch auf ideologischer und symbolischer Ebene. Hulme berichtet, er sei nach 35 Jahren Klimaforschung zu der Erkenntnis gekommen, "Klimawandel verändert nicht nur unsere physische Welt; die Vorstellung von Klimawandel verändert vielmehr auch unsere gesellschaftlichen Welten". Er empfiehlt, den Klimawandel zum Anlass zu nehmen, kreativ über unsere kulturelle Weiterentwicklung nachzudenken. Eine solche Sichtweise bedürfe keines übergreifenden Konsenses, weil sie Differenzen und Uneinigkeit ertrage. Den Klimawandel könne sie zwar nicht verhindern, aber vielleicht erlaube sie, gemeinschaftlich eine bessere Welt zu schaffen.

Wettbewerb der Geschichten

Als Methode für den Diskurs schlägt Hulme vor, die gegensätzlichen Ansichten zum Klimawandel zu Geschichten zu bündeln und sie dadurch sichtbar und kollektiv zugänglich zu machen. Er macht diesbezüglich vier innere Antriebe im Menschen aus: Nostalgie, Zukunftsangst, Gerechtigkeitsempfinden und Stolz im Hinsicht auf die eigenen Fähigkeiten. In den Mythen der Bibel findet er geeignete Beispiele hierfür. So erzähle der biblische Mythos vom Turmbau zu Babel von unserem Wunsch nach Beherrschung und Kontrolle.

"Streitfall Klimawandel" ist kein Buch über den Klimawandel, sondern über den Umgang mit ihm. Wer sich Sorgen über dessen physikalische Auswirkungen macht und vom erfahrenen Klimaforscher Hulme alternative Lösungsvorschläge erhofft, den lässt das Werk eher ratlos zurück. Wer aber die Hintergründe für unser Handeln beziehungsweise Nichthandeln verstehen möchte und Argumente für kulturtheoretische Diskussionen sucht, findet in dem Buch reichlich Anregungen.

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