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Origami für Ungeduldige

Paul Jackson weicht der Effizienz zuliebe von der reinen Lehre ab – mit Erfolg.

Eigentlich kennt man den britisch-israelischen Künstler Paul Jackson, Jahrgang 1956, als einen der frühen Pioniere, die Origami, die fernöstliche Papierfaltkunst, der westlichen Welt nahebrachten und durch eigene Ideen weiterentwickelten. Aber mit dem vorliegenden Werk setzt er sich über die Regeln der Kunst hinweg; und er hat wohl gute Gründe dafür.

Rigorose Selbstbeschränkung

Konstitutiv für das klassische Origami ist die rigorose Selbstbeschränkung. Der Künstler hat nichts zur Hand als ein quadratisches Stück Papier, das auf beiden Seiten verschieden gefärbt sein darf. Daraus faltet er die unglaublichsten Objekte, ohne irgendwelche Hilfsmittel zum Finden der Faltlinien sowie ohne Schere und Klebstoff. Es ist ohne Zweifel reizvoll zu erkunden, wie weit man unter Einhaltung dieser Beschränkungen kommt; aber manchmal sind diese einfach nur lästig, schränken einen in der Gestaltungsfreiheit ein, erzwingen für manche Objekte einen übermäßigen Materialaufwand – und machen die Sache schlicht langweilig.

Das gilt insbesondere für das modulare Origami: Man baut einen geometrischen Körper, indem man aus zahlreichen Papierblättern lauter gleiche Elemente (»Module«) fertigt und dann zusammensteckt. Ein solches Modul muss über Laschen und Taschen verfügen: hervorstehende Teile, die im fertigen Objekt verschwinden, und Hohlräume, in die man die Laschen der Nachbarmodule steckt. Das sind bereits eine ganze Menge Faltungen. Zudem bezieht der geometrische Körper seinen Reiz aus seiner Regelmäßigkeit, mit der Folge, dass man das Ganze typischerweise 30-mal ausführen muss. Das bringt die Geduld mancher Bastler (meine zum Beispiel) an ihre Grenzen.

Darüber hinaus lässt das klassische Reinheitsgebot nicht viele Freiheiten, um ein Modul zu konstruieren. Bekannt und unter den Origamisten hoch geschätzt sind der Sonobe-Stern und der Bascetta-Stern. Beide bestehen aus zwei gleichschenkligen Dreiecken, die mit ihren Basisseiten aneinandergrenzen, plus Laschen und Taschen; der Scheitelwinkel beträgt 90 Grad für den ersten und 45 Grad für den letzten. Jeder andere Winkel würde ein komplett neues Faltkonzept erfordern. Echte Sterne werden daraus erst, indem man zum Beispiel drei Module mit je einem ihrer Dreiecke zu einer dreiseitigen Pyramide (ohne Grundfläche) zusammensteckt. Die zweiten Dreiecke, die jetzt noch lose heraushängen, ergänzt man auf dieselbe Weise zu weiteren Pyramiden, und wenn man es richtig macht, ergibt sich zum Beispiel ein Stern, dessen acht pyramidenförmige Spitzen auf den Seitenflächen eines gedachten Oktaeders sitzen. Im Prinzip könnte man mit Modulen ein und derselben Art jeden platonischen Körper – und einige mehr – mit derartigen Pyramiden krönen und auf diese Weise zum Sternkörper machen. Für vier- oder fünfseitige Pyramiden ist der Sonobe-Stern allerdings nicht spitz genug.

Paul Jackson bietet an Stelle der mühsam zu faltenden Einzelteile vorgefertigte Module an, ausgeschnitten und vorgefalzt, wodurch man sie nur noch in Form knicken muss. Er verwendet gleichseitige Dreiecke (Scheitelwinkel 60 Grad); die Laschen sind halbe Dreiecke mit einem kleinen Auswuchs daran, und die Funktion der Taschen übernimmt – welch Sakrileg – ein geeignet platzierter Schlitz in der Kante zwischen den beiden Dreiecken. Das Zusammenstecken ist dann denkbar einfach: Man legt die Lasche eines Moduls über ein Dreieck eines anderen und steckt den Auswuchs in den Schlitz.

Nachdem man das Prinzip begriffen hat, ist ein Stern über dem Tetraeder, dem Oktaeder oder sogar dem Ikosaeder im Rekordtempo fertig. Man muss sich die sehr pädagogischen englischsprachigen Videos, auf die das Beiheft verweist, eigentlich nicht antun. Im vollendeten Objekt sieht man von jeder Dreiecksfläche nur die Hälfte; die andere Hälfte ist die Lasche vom Nachbarn. Wenn man benachbarte Module in verschiedenen Farben wählt – sechs verschiedene Farben stehen zur Auswahl –, sieht der Stern hinterher hübsch bunt aus.

Ein Prinzip des klassischen Origami hat Jackson immerhin hochgehalten: Klebstoff braucht man auch bei seinen »Superstars« nicht. Die fertigen Sterne halten auch so gut zusammen.

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