Schlauer sein als die anderen
Die russischstämmige US-Journalistin Maria Konnikova versucht das schier Unmögliche: Sie will uns die Wahrheit über das Lügen erklären. Genauer gesagt über "confidence men" (deutsch etwa: Vertrauenshändler), so der treffende amerikanische Ausdruck für Männer (und Frauen!), die ihre Mitmenschen – zumindest eine Zeit lang – überaus geschickt und erfolgreich hinters Licht führen.
Konnikova erzählt viele Geschichten von solchen "con men". Von Hochstaplern wie Frank Demara, der als angeblicher Arzt zig Patienten operierte, von Investment-Haien à la Bernie Madoff oder auch von einer pathologischen Lügnerin, die sich unter verschiedenen Identitäten über Jahre hinweg immer wieder das Vertrauen und Geld unbescholtener Menschen erschlich. Dazwischen streut die Autorin psychologische Theorien und Studienbefunde ein.
Leider sind diese Forschungssplitter oft älteren Datums und wenig aussagekräftig. So ist von einem Alzheimerforscher die Rede, der in einem Scan seines eigenen Gehirns "alle Merkmale des Psychopathen" erkannt habe. Nur welche das genau sind, bleibt offen. Was auch nicht überrascht: Es gibt derart klare Kennzeichen anhand einzelner Hirnaufnahmen gar nicht. An anderer Stelle heißt es über eine Betrogene: "Sie war eine gute Menschenkennerin – schließlich hatte sie Soziologie studiert." Noch Fragen?
Goldene Zeiten zum hinters Licht führen
Auf ähnliche dubiose Aussagen stößt man im Buch immer wieder. Wer sich den Buchstaben Q für das Gegenüber korrekt lesbar auf die Stirn zeichnet, messe der eigenen Erscheinung "große Bedeutung" zu, erfährt man da. Oder auch, dass Emotionen das Denken komplett ausschalten.
Die Fülle an Halbgarem ist umso bedauerlicher, als Konnikova auch viel Richtiges schreibt und interessante Perspektiven eröffnet. Dass erfolgreiche Betrüger uns eigentlich zu gar nichts drängen, sondern nur unsere Wünsche lesen und sich als "perfektes Medium zu deren Erfüllung" anbieten; dass die Digitalisierung ein "neues Goldenes Zeitalter des Betrugs" einläutet; oder dass die am besten gelungenen Betrügereien nie ans Licht kommen, weil sie entweder unbemerkt bleiben oder als Pech abgetan werden, das alles sind sehr bedenkenswerte Punkte.
Unterm Strich steht die Erkenntnis: Jeder wird betrogen, aber niemand gibt es gerne zu. Nicht einmal sich selbst gegenüber. Aus unserer subjektiven Sicht werden stets die anderen reingelegt, die Dummen, Vertrauensseligen – aber doch nicht wir! Umso leichteres Spiel haben Politiker, Manager, Werber und Führungskräfte aller Art. Andere zu blenden, sie durch schöne Worte und Gesten um den Finger zu wickeln, ist für sie alle eine wichtige Qualifikation.
Gilt das womöglich auch für manche Journalisten? Wer die von Konnikova zitierten Studien und wissenschaftlichen Quellen im Anhang sucht, wird auf ihre Webseite verwiesen – hier allerdings finden sich die angekündigten "spezifischen Literaturhinweise" nicht. Und manche nahezu wörtliche Doublette zwischen dem Buchtext und journalistischen Artikeln anderer Autoren nährt den Verdacht, hier habe jemand großzügig die Konkurrenz paraphrasiert. Sei’s drum, in gewisser Weise bestätigt die Autorin damit nur ihre eigene These. Denn wieso glauben wir ausgerechnet jenen, die uns von der Unvermeidlichkeit der Lüge überzeugen wollen, beinahe blind? Weil wir es glauben wollen. Dabei weben auch sie uns vielleicht nur ein in jenen wohligen Kokon aus Halbwahrheiten, Übertreibungen und Geflunker. Und erfüllen damit letztlich einen Wunsch, den jeder Leser hegt: schlauer zu sein als die anderen.
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