»Tag und Nacht«: Von Nachteulen und Frühaufstehern
Sind Sie »Team Lerche« oder »Team Nachteule«? Während die Frühaufsteher oder Nachtaktiven unter uns Menschen bei Bedarf auch ein bisschen an ihrer inneren Uhr schrauben können (alle Nachteulen mit Kleinkindern wissen Bescheid!), haben echte Lerchen, Eulen und andere Tiere da keinerlei Spielraum. Einmal Nachtfalter, immer nachtaktiver Schmetterling.
Wer, warum, wo, wann und wie in der Natur wacht oder ruht, davon erzählt Lela Nargi Kindern ab dem Grundschulalter in ihrem Sachbilderbuch »Tag und Nacht«. Darin nimmt die amerikanische Journalistin und Buchautorin ihre Leser mit auf eine 24-stündige Reise rund um den Globus; diese vermittelt – aufwendig und anschaulich aufbereitet – eine Menge Wissen und ist gleichzeitig hoch unterhaltsam. Wir starten im Morgengrauen am Fuße eines nordamerikanischen Gebirges, wo Maultierhirsche grasen und dabei immer auch ein Auge auf mögliche Attacken des Pumas haben – ihrem Fressfeind Nummer eins. 48 Seiten später klappen wir das Kompendium nach einem Ausflug zum Riesenfischuhu wieder zu, der in der tiefblauen Nacht chinesischer Wälder mit hervorragenden Nachtsicht-Skills auf erfolgreichen Beutefang geht.
Unterwegs haben wir sehr viel über Tiere aus aller Welt erfahren, deren Lebensraum kennengelernt und gesehen, wie sie sich an Umgebung und Klima anpassen. Der Erkenntnisgewinn ist aber nicht nur bei Kindern groß – auch wir Erwachsene können mit dem frisch erworbenen Wissen unser Umfeld verblüffen. Wer weiß schon, warum manche Singvögel bei Nacht zu ihren Geburtsorten zurückreisen (weil nachts weniger Raubtiere unterwegs sind)? Oder warum Pinguine nur kleine Nickerchen machen (weil sie so schneller räuberische Robben bemerken)? Besonders beeindruckend ist, wie gut die verschiedenen Tiere auf ein Leben und Überleben in der Morgendämmerung, am helllichten Tag oder in der Nacht vorbereitet sind – so können Rehe besonders gut Blautöne sehen, definitiv ein Vorteil im tintenblauen Morgengrauen. Die Andenkondore aus Nord- und Südamerika brauchen dagegen die heiße Luft des Mittags, um bei der Beutesuche auf den entstehenden Höhenströmungen scheinbar schwerelos dahinzugleiten.
Kurze Textpassagen sorgen auf jeder Doppelseite für den inhaltlichen Überblick oder bereiten interessante Detailaspekte auf. Besonders wichtige Begriffe fallen durch Großbuchstaben und Fettdruck auf, mehr Infos dazu bietet dann ein alphabetisch sortiertes Glossar am Buchende. Dazu stimmen poetisch anmutende Zeilen auf ein Thema ein und verbinden damit Orte und Tiere: »Die Welt macht eine Pause. Trotzdem atmet und blinzelt in der Serengeti überall das Leben.« Doch Lela Nargis Texte stehen nicht im Fokus, vielmehr ordnen sie sich den wunderbaren Bilderwelten von Xuan Le unter. Sie schmiegen sich an Blatt- oder Körperformen, füllen den Grund eines Sees oder warten am Seitenrand geduldig darauf, entdeckt zu werden.
Ideale Bettlektüre für Kinder mit fluoreszierenden Nachtbildern
Denn es ist vor allem die vietnamesische Illustratorin, die in panoramaartigen Tableaus mit klaren, ausdrucksstarken Farben von Landschaften, Tageszeiten und den Aktivitäten ihrer tierischen Bewohner erzählt. Mit gekonnt eingesetztem Spiel von Licht und Schatten betont sie wichtige Details und verleiht den Szenen eine glaubhafte Dynamik: Im tropischen Dschungel Malaysias fällt ein kleiner Sonnenspot auf die krabbelnde, schillernde Zikade Tacua speciosa; irgendwo in einer nordamerikanischen Seenlandschaft flattern nachtaktive Motten die Blätter der schneeweiß leuchtenden Mondblumen an. Xuan Les Bilder laden mit ihrer virtuosen Kreativität dazu ein, zu entdecken und sich in die Bilder hinein zu versenken. Mal faszinieren dabei naturalistisch anmutende Details, mal lustvoll gestaltete exzentrische Hintergründe oder Pflanzen. Groß und Klein können dabei gut miteinander ins Gespräch kommen und finden hier viele Anlässe, ein Thema gemeinsam weiter zu recherchieren.
Als wäre diese Tag- und Nachtreise an sich nicht schon spektakulär genug, leuchten auch noch die in Nachtszenen eingesetzten fluoreszierenden Farben im Dunkeln. Das ist nicht nur wortwörtlich ein weiteres Highlight dieses Sachbilderbuchs, sondern macht es auch zur idealen Bettlektüre: Kleine Entdecker können so bei heruntergedimmtem Licht nach der aufregenden Bilderreise langsam zur Ruhe kommen.
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