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Klimakatastrophe vor 200 Jahren

"Wer die menschliche Geschichte verstehen will, muss 'Natur' als Kategorie einbeziehen." Mit diesem dürren Statement endet der gerade mal 5 Seiten lange Epilog, in dem Historiker Wolfgang Behringer, Spezialist für die frühe Neuzeit, die Quintessenz des Buchs formuliert. Trotzdem lohnt es sich, das Werk zu lesen. Es erscheint zwar manchmal wie eine Sammlung von Zitaten, widerspricht aber in überraschender Weise dem in der westlichen Welt verbreiteten Geschichtsverständnis.

Im April 1815 – zwei Monate später erlitt Napoleons Armee die vernichtende Niederlage bei Waterloo – explodierte der Vulkan Tambora auf der Insel Sumbawa, die östlich von Bali liegt und heute zu Indonesien gehört. Es war der gewaltigste Vulkanausbruch in den zurückliegenden 5000 Jahren; der etwa 4200 Meter hohe Berg maß hinterher nur noch 2850 Meter. Die Verwüstungen vor Ort und in der Region waren verheerend, mit riesigen Überschwemmungen in Indien und China. Mehr noch: In vielen Teilen der Erde gehörte der folgende Winter zu den kältesten des zweiten Jahrtausends; in Europa und Nordamerika gab es im Jahr darauf keinen Sommer. Dies löste Hungersnöte aus, die eine Verarmung bis in die Mittelschichten bewirkten, und führte in der Konsequenz zu Migrationsbewegungen, unter anderem in das kaum betroffene Russland hinein.

Hunger als Unruhetreiber

Die Geschichtsschreibung nahm von diesen Krisenjahren kaum Notiz; allemal wurde kein Zusammenhang zur Naturkatastrophe hergestellt. Zumeist betrachtete man die Hungersnöte als klassisches Phänomen der vorindustriellen Epoche. Behringer möchte diesen verengten Blick mit seinem Buch weiten. Er kritisiert, dass Soziologen, wenn sie geschichtliche Ereignisse erklären wollen, oft zu sehr auf gesellschaftliche Entwicklungen fokussieren. Sie führen Hungersnöte beispielsweise auf soziale Ungerechtigkeit zurück und postulieren, dass diese in die Revolutionen von 1789 und 1848 mündete. Doch die Hungerjahre 1816/17, betont der Autor, hatten eine natürliche Ursache – und sie traten gerade in einer Phase auf, als man nach den napoleonischen Kriegen nationalen und wirtschaftlichen Fortschritt erwartete.

Während der Krisenjahre kam es in ganz Europa zu schweren sozialen Unruhen, einhergehend mit Terroraktionen, die sich vor allem gegen Juden richteten. Unter Nationalisten besonders in Deutschland verbreitete sich ein tödlicher Antisemitismus. Bei seinen Erörterungen zieht Behringer eine Linie vom Wartburgfest studentischer Burschenschaften im Jahr 1817 bis zum Holocaust. Auf den aggressiver werdenden Nationalismus reagierten der Deutsche Bund und der österreichische Kanzler Klemens Wenzel Lothar von Metternich (1773-1859) mit den Karlsbader Beschlüssen, die einen repressiven Charakter besaßen. Sie waren geleitet von dem Gedanken "Ohne Bekämpfung des Terrorismus keine politische Stabilität" und zielten darauf, aufklärerische Tendenzen zu schützen. Metternichs Staatensystem der folgenden Jahrzehnte war daher weniger reaktionär als weithin angenommen, sondern vielmehr progressiv.

Andererseits sahen sich die Nationalstaaten gezwungen, den aufblühenden Freihandel wieder einzuschränken und Maßnahmen für die notleidende Bevölkerung zu ergreifen, die ihre Vorbilder in der Sozialpolitik des 18. Jahrhunderts hatten. Daraus zieht Behringer die bis heute gültige Erkenntnis: "Ohne Rücksicht auf die soziale Frage kein sozialer Frieden."

Umkämpfte Krim

Die Tamborakrise begünstigte auch imperialistische Tendenzen. Das zaristische Russland beispielsweise konnte mit Hilfe von Migranten aus Württemberg seinen Einfluss in der Schwarzmeerregion ausdehnen. Eine Entwicklung, die unter anderem in den Krimkrieg (1853-1856) mündete, der Millionen Todesopfer forderte und das Grauen des ersten Weltkriegs in vielerlei Hinsicht vorwegnahm. Unter der Ausbreitung des britischen Empires und der USA wiederum litten indigene Bevölkerungen in Asien, Afrika und Amerika.

Behringer zieht aus der Tamborakrise die Lehre, dass natürliche Ereignisse weltweit Gesellschaften mit unerwarteten Problemen konfrontieren können, die mitunter den gesellschaftlichen Fortschritt aufhalten. Staaten und Gesellschaften müssen geschickt darauf reagieren – im Fall der Tamborakrise unter anderem durch Innovationen wie der Begradigung des Rheins nördlich von Basel, um Überschwemmungen in den Griff zu bekommen; der Gründung von Sparkassen, um dem verarmten Mittelstand zu helfen; der Entwicklung des Versicherungswesens, um sich vor wetterbedingten Schäden zu schützen; und des Aufkommens der Meteorologie.

Auf all diese Aspekte geht Behringer detailliert ein und vollzieht damit einen erstaunlichen Perspektivwechsel in Geschichte, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Erörterungen bereichern inbesondere die Debatte um den anthropogenen Klimawandel. Ein lesenswertes Buch.

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