Ästhetische Libellenwelt
Die beiden ausgewiesenen Libellenexperten Hansruedi Wildermuth und Andreas Martens – beide promovierte Biologen – präsentieren mit ihrem "Taschenlexikon der Libellen Europas" einen kompakten Überblick aller 135 in unseren Breiten beheimateten sowie zugereisten Libellenarten. Ihr hervorragend bebildertes Sachbuch richtet sich sowohl an interessierte Naturfreunde als auch ein vorgebildetes Fachpublikum. Im Vordergrund des Werks stehen Ökologie und Verhalten sowie die unbestreitbare Ästhetik dieser Insekten, die phylogenetisch recht alt sind. Wer ein toll gestaltetes Bildlexikon mit zahlreichen Hintergrundinformationen sucht, kann hier definitiv nichts falsch machen. Möchte man damit allerdings draußen auf Erkundungstour gehen, sollte man den zirka ein Kilogramm schweren Band am besten in einem Rucksack verstauen. Und die geringe Schriftgröße beschränkt die Lektüre weitgehend auf helle Mittagsstunden.
Wildermuth und Martens behandeln zunächst die allgemeine Biologie der Libellen im Hinblick auf Systematik und Körperbau. Auch mit dem Entwicklungszyklus, der Gefährdungslage sowie Schutz- und Fördermaßnahmen befassen sie sich, ebenso wie mit Tipps zum Bestimmen, Beobachten, Fotografieren und Filmen. Das alles ergibt eine ziemlich lange Einführung. Daran schließt sich der eigentliche Kern des Buchs an. Dieser ist sinnvollerweise in zwei Teile gegliedert, entsprechend der Systematik innerhalb der Odonata (Libellen). Den Kleinlibellen oder Zygoptera widmet sich der erste, den Großlibellen oder Anisoptera der zweite Teil. Wenn man beim Beobachten grob – etwa anhand der Flügelstellung – abschätzen kann, wo man ein gesichtetes Exemplar in etwa einordnen muss, kann man mit Hilfe der blauen beziehungsweise roten Markierung in der rechten oberen Seitenecke gleich zum entsprechenden Buchabschnitt blättern.
Nach Familien sortiert
Die Kapitel der beiden Hauptteile folgen der Systematik, wie man es aus der Bestimmungsliteratur gewohnt ist. So stehen Abschnitte über einzelne Arten entsprechend der übergeordneten Gattung nebeneinander, und diese wiederum versammeln sich zu Familien. Hat man eine Spezies identifiziert, gelangt man auch über die drei Artnamensverzeichnisse (deutsch, englisch und wissenschaftlich) schnell zu den entsprechenden Seiten. Inhaltlich stützen sich die Autoren sowohl auf Standardwerke als auch auf neuere Fachpublikationen. Diese sind sämtlich im Literaturverzeichnis aufgeführt. Der Glossar fällt demgegenüber ziemlich kurz aus, was sich aber verschmerzen lässt, da die meisten Begriffe direkt im Fließtext erläutert werden.
Die Abschnitte über die einzelnen Spezies sind stets nach dem gleichen Schema aufgebaut. Zunächst erklären die Autoren, woher der lateinische beziehungsweise deutsche Artname stammt. Das kann recht unterhaltsam und erhellend sein, etwa bei Anax ephippiger, der Schabracken-Königslibelle. Dieser Name ist keineswegs abwertend gemeint, sondern bezieht sich auf einen sattelförmigen Fleck an der Oberseite des Männchens.
Zudem heben Wildermuth und Martens spezifische Kennzeichen der Tiere hervor – sowohl im Larval- als auch im Adultstadium und dort für beide Geschlechter. Hierfür präsentieren die geübten Naturfotografen aufschlussreiches Bildmaterial, das die im Text geschilderten Merkmale erkennen hilft. Zu Beobachtungszwecken beschreiben sie die jeweiligen Verbreitungsgebiete der Arten, verzichten dabei allerdings auf Übersichtskarten. Das ist zwar nicht tragisch, doch mit Karten wäre das Werk noch etwas nutzerfreundlicher gewesen. Um das ökologische Profil der vorgestellten Libellenspezies zu umreißen, berichten die Autoren ausführlich von der Lebensweise sowohl der adulten Tiere als auch der Larven. Dazu gehören das Schlaf-, Jagd- oder Fortpflanzungsverhalten genauso wie Fragen der Entwicklung oder die Anzahl der Generationen pro Jahr. Als nützlich erweist sich, dass Wildermuth und Martens für jedes Entwicklungsstadium darlegen, wann im Jahresverlauf es auftritt. Das ist sehr hilfreich, wenn man gezielt eine bestimmte Art beobachten möchte.
Parade der Plagegeister
Konkrete Beobachtungstipps sind farblich hervorgehoben, damit man sie beim Durchblättern schnell findet. Am Schluss jedes Kapitels finden sich Informationen zum Gefährdungsstatus der jeweiligen Spezies sowie zu Schutz- und Fördermaßnahmen. Literaturangaben verweisen auf weiterführende Werke.
Von herkömmlichen Bestimmungswerken hebt sich das Buch noch durch einen besonderen Exkurs ab. Im Schlussteil listen die Autoren alle bekannten Epizoen, Parasiten und Parasitoide der hiesigen Libellen auf. Dabei präsentieren sie einmal mehr großartige Makroaufnahmen, die die Plagegeister auf und an ihren Wirten zeigen. Umfassend und aktuell sucht dieses hervorragend bebilderte Kompendium auf dem deutschen Sachbuchmarkt seinesgleichen und eignet sich für frisch gebackene Libellenliebhaber ebenso wie für Experten.
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