»Tatort: Tal der Könige«: Im Zweifel für den Angeklagten?
3200 Jahre sind eine lange Zeit, um Gerechtigkeit zu erfahren. Michael Höveler-Müller, Sachbuchautor und ehemaliger Leiter des Ägyptischen Museums in Bonn, hat sich dennoch darangemacht, sie einem möglicherweise fälschlich Verurteilten zukommen zu lassen: Pa-neb, Vorarbeiter in den Königsgräbern von Ägyptens 19. Dynastie im Tal der Könige bei Theben.
Eine dreiseitige Anklageschrift auf Papyrus, adressiert an den Wesir Hori (den höchsten Beamten des ägyptischen Staats), erwarb ein britischer Kolonialbeamter im 19. Jahrhundert. Darin werden Pa-neb schwere Vergehen zur Last gelegt, darunter Grabraub, Erpressung, Bestechung von Staatsbeamten sowie Gewaltverbrechen. Die Sekundärliteratur beschreibt den Vorarbeiter dementsprechend meist als üblen Schurken. Es wurde sogar die These aufgestellt, der Arm des Gesetzes habe ihn letztlich doch erreicht und er sei hingerichtet worden. Michael Höveler-Müllers neues Werk bietet einen neuen, weit differenzierteren Blick auf den Fall Pa-neb, in dem er nicht nur den anklagenden Text selbst, sondern auch die historischen Begleitumstände für ein breites Publikum allgemein verständlich aufarbeitet.
Zu Unrecht verurteilt?
Das erste von drei Kapiteln des Buchs führt das Publikum an Ort und Zeit des Geschehens heran. Der Autor verliert sich hier leider in weitschweifigen Erläuterungen der begleitenden Umstände, etwa der Bedeutung von Theben-West für den Totenkult des Neuen Reichs, der politischen Querelen in der Thronnachfolge der Pharaonen Merenptah und Sethos II. sowie des täglichen Lebens in Deir el-Medina. Das alles liest sich zwar recht flüssig und interessant, stellt jedoch keinen klaren Bezug zum Thema des Buchs, der angestrebten Entlastung des Vorarbeiters Pa-neb, her.
Auf die »W-Fragen« reduziert könnte man sagen: Das erste Drittel des Buchs beschäftigt sich ausführlich mit dem »Wo« und »Wann« des Falls, während das »Wer« (Pa-neb) und »Was« (die gegen ihn vorgebrachten, womöglich falschen Anschuldigungen) nur beiläufig erwähnt werden. Eine klare Vorstellung des Falls hätte dem Werk gut getan. Für ein Buch, das einen frischen Blick auf die Geschichte verspricht, könnte die historische Einführung so auch in fast jeder populärwissenschaftlichen Geschichte Altägyptens seit den 1960er Jahren stehen. Mithin ergibt sich aus dem ersten Kapitel zunächst kein direkter Mehrwert, da die Relevanz für das Thema nicht deutlich wird.
Im zweiten und dritten Kapitel macht sich der Autor jedoch ans Eingemachte, nämlich die Neuübersetzung des »Papyrus Salt 124« (benannt nach Henry Salt, dem britischen Generalkonsul in Ägypten, der das Stück Anfang des 19. Jahrhunderts kaufte). Jener Text enthält die Anschuldigungen gegen Pa-neb. Ab hier wird das Buch tatsächlich richtig spannend, denn es bietet die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild über die Quellenlage zum Fall Pa-neb und die Verbrechen, die ihm vorgeworfen wurden, zu machen. Höveler-Müller stellt die Indizien aus dem Papyrusdokument und anderen kontemporären Schriftzeugnissen vor. Nun erklärt sich endlich auch die Relevanz der ausführlich beschriebenen politischen Wirren in der Regierungszeit Sethos' II. Wer sich noch nicht eingehend mit dem Ende der 19. Dynastie befasst hat, muss erst einmal zurückblättern, um den Erläuterungen folgen zu können.
Schließlich ergibt sich aus den Hinweisen ein Bild von Pa-neb, das nicht ganz dem in der Sekundärliteratur entspricht. Er mag eine streitbare Persönlichkeit gewesen sein und zeitweise politisch auf der »falschen Seite« (also der letztlich unterlegenen) gestanden haben – aber der Erzverbrecher, als der er dargestellt wird, war er wohl nicht. Der Autor macht außerdem klar, welche der Anschuldigungen aus dem ursprünglichen Text und welche aus dem ständigen Abschreiben älterer Übersetzungen stammen: eine Erinnerung, dass Papier wie Papyrus geduldig ist.
Das Buch ist für ein breites Publikum interessant. Es beleuchtet, welche voreiligen Schlüsse in der Archäologie und Geschichtsschreibung gezogen wurden und bisweilen bis heute überdauert haben. Der Schreibstil ist gut zu lesen – und nicht zuletzt ist auch der Fall selbst interessant: ein Indizienprozess mit Gerüchten, Intrigen, Neid und übler Nachrede. Um die Leserschaft von Anfang an zu fesseln, wäre allerdings ein besserer Aufbau des Werks nötig gewesen.
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