»Taupunkt«: Stell dir vor, es wird noch heißer
An Sachbüchern über den Klimawandel wird es so schnell keinen Mangel geben. Zu groß und zu gefährlich ist die Menschheitskrise, zu rasant sind die Entwicklungen, auf die die Experten und Expertinnen dann mit neuen Mahnungen und Handlungsempfehlungen reagieren. Die Flut der Bücher zum Thema ist vermutlich auch deshalb so groß, weil weiterhin ein eklatanter Widerspruch zwischen grundlegender Erkenntnis und daraus abgeleiteter Handlung besteht. Wir alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Dass die Gesellschaft als Ganzes sich verändern muss, dass wir unseren Konsum einschränken müssen, wollen wir das Schlimmste noch verhindern. Passieren tut trotzdem: nichts! Zumindest nicht genug. Was zu der Frage führt, was eigentlich konkret passieren müsste, damit die Menschheit aus ihrem Konsumschlaf erwacht.
Genau hier setzt das Buch »Taupunkt« von Thore D. Hansen an. »Klimaroman« nennt sich das Werk im Untertitel. Kein Sachbuch also, eher ein in der nahen Zukunft angesiedelter Klimathriller. Im Zentrum des Geschehens steht der Wissenschaftler Tom Beyer. Anfang des Buches arbeitet er noch im Weltklimarat der Vereinten Nationen in New York. Er quittiert aber bald ausgebrannt den Dienst, weil der Klimarat aus politischer Rücksichtnahme nicht bereit ist, die Weltbevölkerung über das wahre Ausmaß der bevorstehenden Klimakatastrophe aufzuklären. Stattdessen wird Beyer – zu Beginn der eigentlichen Handlung – Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung.
Es ist erst Frühling. Trotzdem liegt eine ungewöhnliche Hitze wie Blei über weiten Teilen Deutschlands. Der Regen bleibt aus, Waldbrände nehmen zu, und ein Hitzerekord jagt den nächsten. 38 Grad, 41 Grad, 45 Grad, 39 Grad – am Anfang jeden Kapitels steht die jeweilige Temperatur, mit der Tom Beyer und die Mitglieder seiner Familie zu kämpfen haben: Sein Bruder Robert quält sich als Landwirt in Nordfriesland und Brandenburg und ist Klimawandelleugner – ausgerechnet. Roberts Tochter Janne ist dagegen Klimaaktivistin. Toms Tochter Mareike wiederum leidet unter der Arbeit ihres oft abwesenden Vaters und hat sich deshalb für einen eher hedonistischen Lebensstil entschieden.
Diese komplementäre Aufstellung der Figuren ermöglicht es, das Thema Klimawandel und die unterschiedlichen Meinungen dazu in verschiedenen Generationen und Lagern zu beleuchten. Manchmal wirkt sie allerdings etwas bemüht: Der querdenkende, jähzornige und alkoholkranke Robert wirkt mitsamt dem provinziellen bäuerlichen Umfeld, in dem er sich bewegt, genretypisch manchmal arg überzeichnet. Auch bei den Emotionen, die die Figuren durchleben, ist der Regler oft bis zum Anschlag hochgedreht.
Was den Klimawandel und seine Folgen betrifft, hat Hansen, der zuvor schon einige nah an der Realität angesiedelte Thriller geschrieben hat, seine Hausaufgaben gemacht. Er schreibt von einem Modellprojekt in Island, das CO2 aus der Luft saugt und tief unter der Erde einlagern kann. Er geht der Frage nach, wie viele Todesopfer wohl durch die steigenden Temperaturen zu beklagen sind, ob der Katastrophenschutz wohl auf eine signifikant höhere Zahl an Waldbränden vorbereitet ist und wie schnell im Katastrophenfall die öffentliche Ordnung zerfällt und das Machtvakuum durch marodierende Banden gefüllt werden könnte.
Tom Beyer hat als Wissenschaftler an einem Geheimprojekt – dem Phönix-Programm – gearbeitet, das zur Anwendung kommen soll, wenn der Kampf gegen die Klimaerwärmung endgültig verloren ist. Darin enthalten sind all die Einschränkungen, von denen wir jetzt schon wissen, dass sie auf uns zukommen werden: weniger Konsum, Einschränkung der Reisefreiheit, weniger Globalisierung – Wohlstandsverlust. Im Alleingang entschließt sich Tom schließlich dazu, das Phönix-Programm öffentlich zu machen und dessen globale Anwendung zu fordern.
Dass die Weltgemeinschaft dem Einzelkämpfer dabei möglicherweise sogar zu folgen bereit ist, ist eine unbedingt wünschenswerte, wenn auch eher realitätsferne Volte des Buches.
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