Einzigartige Perspektive
Ben Barres, geboren 1954 als Barbara Barres, lebte mehr als 40 Jahre in der ihm biologisch zugewiesenen Rolle: als Frau. Er fühlte sich nie wohl in seiner Haut und litt schon in der Jugend unter seiner Geschlechtsdysphorie. Dass auch andere Ähnliches empfinden, erfuhr er erst in den 1990er Jahren durch einen Zeitungsartikel über den Transgender-Aktivisten Jamison Green. Die Entscheidung, fortan als Ben durchs Leben zu gehen, fiel ihm nicht leicht – er hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits als Barbara eine wissenschaftliche Karriere aufgebaut und fürchtete negative Konsequenzen. Doch erfuhr er Unterstützung von der Familie, Freunden und Kollegen.
Seine Erfahrungen prägten seinen Blick auf die Ungleichbehandlung von Frauen in der Wissenschaft. Als Barbara habe er sich nie benachteiligt gefühlt, schreibt er, doch als Ben sah er viele Ungerechtigkeiten, denen Forscherinnen ausgesetzt sind. Nancy Hopkins, Biologieprofessorin am MIT und eine langjährige Vertraute von Barres, schreibt im Vorwort ein wenig mehr über Bens Aktivismus, der im Buch insgesamt zu kurz kommt.
Mehr als Nervenkitt
In einem eigenen Kapitel geht es um die Forschungsarbeiten des Autors. Darin beschreibt er detailliert, welche Erkenntnisse sein Team und er im Bereich der Gliaforschung gewonnen haben. Lange hielt man diese Zellen, die einen Großteil der Hirnmasse ausmachen, lediglich für »Nervenkitt«. Ben und seine Gruppe lieferten jedoch Belege dafür, dass die Zellen bei vielen physiologischen und pathologischen Prozessen eine Rolle spielen. Leider verliert der Autor sich hier im Fachjargon; der Abschnitt setzt viel Wissen über neurobiologische Vorgänge voraus. Deshalb wird er nur Experten ohne Fragezeichen zurücklassen. Schade, denn Bens Arbeiten haben die Forschung über Gliazellen angekurbelt.
Insgesamt wirkt das Buch wie eine Kollage aus Kapiteln, die nicht richtig zusammenpassen. Es beginnt sehr persönlich, mündet in eine wissenschaftliche Abhandlung, um dann noch einen Sprung zum Aktivismus zu wagen. Vielleicht ist das auch den Umständen geschuldet, unter denen das Werk entstand: Der Autor verfasste es binnen weniger Monate, nachdem im März 2016 bei ihm eine Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse diagnostiziert worden war. In vielen Passagen wirkt der Text hastig geschrieben und später kaum überarbeitet. Auch ein roter Faden fehlt.
Bens Stärke und seine Überzeugungen scheinen dennoch immer wieder durch. Er wird nicht müde, seine Wertschätzung für jene jungen Wissenschaftler(innen) zu betonen, die er im Lauf seiner Karriere betreute. Über seine Arbeitsgruppe spricht er wie über eine Familie; Kinder hatte er nicht. Es wird sehr deutlich, dass er seinen Schützlingen zum Erfolg verhelfen und dazu beitragen wollte, den Forschungsbetrieb zu verbessern. In vielerlei Hinsicht hat er das auch getan. Er starb 2017 im Alter von 63 Jahren.
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