Direkt zum Inhalt

»The Avocado Debate«: Eine Frucht jenseits von Gut und Böse

Es ist faszinierend, unter wie vielen Aspekten sich eine Frucht wie die Avocado beleuchten lässt. Dies zu vermitteln, ist die Stärke des englischsprachigen Buchs von Honor May Eldridge. Doch genau darin liegt auch seine Schwäche: Es ist kaum möglich, aus den Informationen klare Entscheidungen für den eigenen Konsum abzuleiten.
Schälchen mit Guacamole

Die Avocado ist beliebt, aber auch umstritten: Auf der einen Seite handelt es sich um ein sehr nährstoffreiches Lebensmittel, das gut schmeckt und vor dem Verzehr nicht aufwendig verarbeitet werden muss. Auf der anderen Seite ist die Avocado eine Pflanze, die viel Wasser benötigt und die Biodiversität gefährdet. Gleichzeitig steht sie für eine große Ratlosigkeit, die klimabewusste Menschen beim Einkaufen befallen kann: Welche Produkte sollte ich überhaupt kaufen? Was schadet dem Klima und der Gesellschaft am wenigsten?

Auf diese Fragen möchte die Autorin und Expertin für nachhaltige Landwirtschaft, Honor May Eldridge, in ihrem englischsprachigen Buch Antworten geben – oder zumindest Denkanstöße liefern und die Komplexität der Fragen rund um die Avocado aufzeigen. In 15 Kapiteln fasst sie alles zusammen, was es über die Avocado zu wissen gibt: von der Geschichte der Pflanze über ihren Ruf als »Superfood« und den berühmten Avocado-Toast bis hin zu Monokulturen der Hass-Avocado, den Problemen beim Wasserverbrauch und der Verflechtung der Avocado-Produktion mit mexikanischen Drogenkartellen.

Fluch und Segen der vielen Perspektiven

Es ist beeindruckend zu erfahren, welche weitreichenden und sogar politischen Auswirkungen der Anbau einer einzelnen Frucht haben kann. Teils liest sich das Buch wie ein Krimi, etwa mit Blick auf das Wirken der Avocado-Lobby oder die Verdrängung kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe zugunsten riesiger Avocado-Farmen. Bei der Lektüre kristallisiert sich eine Schlüsselbotschaft heraus: Kein Obst oder Gemüse ist an sich gut oder schlecht, es kommt immer auf die Produktion, den Transport, die Lagerung und weitere praktische Aspekte an. Letztlich wird es daher keinen Nahrungsmittelkonsum geben, der sich uneingeschränkt positiv bewerten lässt. Selbst wenn man ausschließlich lokales Obst und Gemüse kauft, hat das in unserer vernetzten Welt Folgen – etwa auf die Lebensgrundlage von kleinen Betrieben in Mexiko oder Peru. Am Ende des Buchs resümiert Honor May Eldridge, dass die Lesenden nun eher in der Lage sein sollten, die tieferen Konsequenzen ihrer Nahrungsmittelauswahl zu verstehen – auch, wenn sie immer noch viele offene Fragen haben werden. »Wir sollten unsere Nahrungsmittelentscheidungen immer wieder hinterfragen und ihre Auswirkungen auf die Welt um uns herum abwägen«, so die Autorin.

Unglücklicherweise sind es gerade diese vielen möglichen Sichtweisen, die den Schwachpunkt des Buches bilden: Zwar weiß man hinterher alles über die Avocado, aber schon beim Lesen der ersten Kapitel beginnt die Frage zu nagen, ob man ab sofort vor dem Kauf bestimmter Lebensmittel zunächst erst einmal eine Abhandlung studieren muss, um keinen Fehler zu begehen. Was ist mit den Bananen und Zitronen, der Maracuja oder – lokaler gedacht – mit den Äpfeln, die man außerhalb ihrer natürlichen Saison kauft? Sehr schnell wird klar, dass wohl kaum jemand alle Zusammenhänge überblicken kann. Aber was ist die Alternative? Schlechte Entscheidungen treffen, weil wichtige Informationen fehlen? Nur noch vom lokalen Bauern kaufen und verarbeitete Lebensmittel grundsätzlich meiden? Oder einfach konsumieren, worauf man gerade Lust hat, weil es ja doch alles zu kompliziert ist?

Natürlich ist es nicht die Schuld von Honor May Eldridge, dass sie auf all diese Fragen keine präzisen Antworten liefern kann. Und, ja, es ist interessant, am Beispiel der Avocado die Details und Feinheiten einer einzigen Frucht zu reflektieren und zu sehen, auf wie viele Aspekte man beim Konsum achten könnte; Aspekte, auf die man ohne dieses Buch nie gekommen wäre. Am Ende hinterlässt das Buch dennoch eher ein Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des unüberschaubaren Dschungels, der sich hier offenbart. Eine konkrete Hilfestellung, um informierte Entscheidungen treffen zu können, ist es eher nicht.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Wie die Guinness-Brauerei den t-Test erfand

Wer hätte gedacht, dass eine Brauerei der Geburtsort für eine der wichtigsten mathematischen Methoden ist? Dem Guiness-Bier haben wir zu verdanken, dass Ergebnisse in der Wissenschaft als statistisch signifikant gewertet werden können. Außerdem in dieser »Woche«: Wie Rauchen das Immunsystem stört.

Spektrum Kompakt – Gesundes Körpergewicht

Körper stehen im Fokus: Sie sind Gegenstand des Selbstbilds sowie gesellschaftlicher Erwartungen und Kern der Diskussion um Abnehmspritzen und Body Positivity. Ob die Zahl auf der Waage gesund ist, kann der BMI aber nicht beurteilen - und wie hoch sie ist, liegt nicht vollständig in unserer Macht.

Spektrum - Die Woche – Ein Hoch auf die Hülsenfrüchte!

Wieso Bohnen, Linsen, Erbsen und Co. deutlich häufiger in unserem Speiseplan vorkommen sollten und welche vielseitigen Qualitäten Hülsenfrüchte auch für die Landwirtschaft mitbringen, lesen Sie ab sofort in »Spektrum - Die Woche«. Außerdem: ein neues Modell für bessere Wahlprognosen.

Schreiben Sie uns!

1 Beitrag anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.