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Rätselhafter Herrscher

Der Althistoriker Holger Sonnabend beleuchtet in seinem neuen Buch die komplexe Persönlichkeit des römischen Kaisers Tiberius und erklärt, warum seine Herrschaft scheiterte.

Der römische Kaiser Tiberius, der vor rund 2000 Jahren herrschte (14-37 n. Chr.), gehört zu den Caesaren Roms, die eine schlechte Presse haben. Das liegt zum einen an der überwiegend tendenziösen, zeitgenössischen Geschichtsschreibung, zum anderen aber auch an der ambivalenten Persönlichkeit des in sich gekehrten Kaisers.

Ausgewogene Darstellung

Der Althistoriker Holger Sonnabend legt nun eine wohltuend differenzierende und ausgewogene Darstellung des Stief-, Schwieger- und Adoptivsohns von Augustus vor, der einer der rätselhaftesten wie widersprüchlichsten Herrscher des Imperium Romanum war. Der Autor arbeitet die Vorzüge des römischen Kaisers heraus, der als bewährter Militär und tatkräftiger Organisator die Staatsfinanzen konsolidierte, die Verwaltung straffte und außenpolitische Konflikte lieber diplomatisch als mit dem Schwert löste. Er zeigt aber auch die Schattenseiten des skrupellosen Machtmenschen und Despoten auf, der seine Gegner in politischen Prozessen vernichtete und seine bis zur Perversion gesteigerte Triebhaftigkeit im selbstgewählten Exil auf Capri auslebte.

Der Autor nähert sich seinem Protagonisten in kritischer Distanz zu den Quellen und untersucht, welche Faktoren die Persönlichkeit des Kaisers prägten und wie er durch seine Herrschaft Staat und Gesellschaft beeinflusste. Der zweite Kaiser Roms, von dem Plinius der Ältere sagte, er sei »der Traurigste unter den Menschen« gewesen, hatte von Kindheit an allerlei Kränkungen, Zurücksetzungen und Demütigungen hinnehmen müssen. Lange Zeit immer nur die zweite Wahl für die Nachfolge, nötigte man ihn ein ums andere Mal, sich den Plänen seines Stiefvaters Augustus unterzuordnen. Höhepunkt dieses Treibens war die erzwungene Scheidung von seiner geliebten Frau Vipsania Agrippina und die Heirat mit Augustus' Tochter Iulia, durch die Tiberius sein privates Glück der Staatsräson opfern musste. Dies waren grausame Schicksalsschläge, die laut Sonnabend für seine Persönlichkeitsentwicklung nicht gerade förderlich waren.

Nach einigen Fehlschlägen und politischen Ränken kam Tiberius mit 55 Jahren erst spät an die Macht und wurde gleich zu Beginn seiner Herrschaft auf eine harte Probe gestellt. Zeitlebens im Schatten Augustus' stehend, der mit dem »Prinzipat« eine neue, monarchische Staatsform etabliert und diese geschickt als »Wiederherstellung der Republik« propagiert hatte, fiel es dem noch stark in republikanischer Tradition stehenden Tiberius schwer, dieses »Trugbild der Freiheit« im politischen Tagesgeschäft zu kommunizieren. Sehr eindringlich schildert der Autor die aus diesem Kommunikationsdefizit resultierenden Irritationen und Konflikte mit den Senatoren, die zunehmend eskalierten und sich in politischen Prozessen entluden, in denen der rachsüchtige Kaiser seine Gegner gnadenlos vernichtete.

Sonnabend beschreibt Tiberius als einen glücklos, bisweilen unbeholfen agierenden Herrscher. Zu Recht betont der Verfasser, Präsenz und Kommunikation seien die wesentlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Regieren im kaiserzeitlichen Rom gewesen. Tiberius' Tragik bestehe darin, dass es ihm wegen mangelnder Selbstvermarktung nicht gelang, die Römer von seiner Politik zu überzeugen – weder die Eliten noch die breite Masse. Das führte zu einer Entfremdung vom Volk, zu dem der verschlossene Kaiser »keinen Draht« hatte. Dort, wo Volksnähe sich durch öffentlichkeitswirksame Auftritte im Theater oder im Circus anbot, ging der Kaiser auf Distanz und entzog sich dem »populus Romanus«. Sein Amt wurde zunehmend zur Bürde, was erklärt, warum sich der introvertierte Tiberius im Jahr 26 resigniert nach Capri zurückzog.

Tiberius, so die Quintessenz von Sonnabends lesenswertem Buch, scheiterte letztlich am politischen Erbe seines Vorgängers, aber auch am eigenen Unvermögen, seine Rolle im heuchlerischen System von Schein und Sein gegenüber Senat und Volk zu definieren und überzeugend zu vermitteln.

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