»Tönende Tiere«: Etwas zum Schwingen bringen
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Kennen Sie den Ruf der Gelbbauchunke? Oder den der Rohrdommel? Vermutlich nicht – und das, obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Tierwelt sind. »Wir hören nicht mehr richtig zu, uns selbst nicht, unseren Mitmenschen nicht, unserer Heimat Natur nicht«, stellt Dominik Eulberg im Vorwort seines Buchs fest. Der Autor ist international erfolgreicher Technoproduzent und DJ. Er ist auch Ökologe und Gastwissenschaftler am Naturkundemuseum Berlin. Beide Seiten – die Musik und die Liebe zur Natur – vereint er seit vielen Jahren in seinem kreativen Schaffen. Sein Werk »Mikroorgasmen überall« war Wissensbuch des Jahres 2020/21. Seine Tracks tragen Namen wie »Dunkle Biene«, »Purpurreiher« oder »Zehnpunkt-Marienkäfer«. Vor Kurzem tourte er mit einer Biodiversitätsshow durchs Land. Sein Anliegen: uns die Schönheit und Wichtigkeit der Artenvielfalt zu vermitteln, uns zum kindlichen Staunen anzuregen und dadurch zum Handeln zu bringen.
Gemeinsam mit dem Leipziger Künstler Matthias Garff stellt Eulberg in »Tönende Tiere« 52 heimische Arten vor – von verschiedenen Vögeln über Amphibien bis hin zu Insekten und Nagern. Jedem Tier beziehungsweise Tierpaar ist eine liebevoll gestaltete Doppelseite gewidmet: Ein porträtierender Text informiert über die Lebensweise der jeweiligen Spezies und wartet mit einigen überraschenden Fakten auf. Die eigentlichen Highlights sind zum einen die Tonspuren, abrufbar über einen QR-Code: In den ersten Sekunden erklingt der natürliche, mitunter bizarr anmutende Laut des Tieres, bevor er in ein kurzes elektronisches Musikstück übergeht. Eulbergs kreative Interpretation verfremdet die Tierstimmen dabei nicht, vielmehr betont sie ihre Besonderheiten (»Die Natur ist der Künstler, ich bin nur der Dolmetscher«). Zum anderen rundet ein besonderes Abbild jedes Porträt ab – und zwar in Form einer Skulptur des Künstlers Garff. Aus weggeworfenen Alltagsgegenständen schuf er überlebensgroße, prächtige Nachbildungen der Tiere.
Ein Fest für die Sinne
Jede Doppelseite ist somit ein Fest für die Sinne, da sie multimedial gestaltet ist. Vor jedem Umblättern fragt man sich gespannt: Welches erstaunliche Lebewesen wird mir nun begegnen? In welche Klangwelt darf ich als Nächstes eintauchen? Auch bereitet es große Freude, Garffs Kreaturen genau zu studieren und Gegenstände im Bild zu identifizieren. So besteht etwa der Große Abendsegler aus einer Radkappe, einem Kupferkrug und einem Fahrradblech, der Laubfrosch aus einem grünen Telefon, aber auch Wäscheklammern, Leder und Polsternägeln – gar nicht so leicht zu entdecken. Auch das vermittelte Wissen in den Begleittexten ist alles andere als trocken. So erfahren Leserinnen und Leser etwa, dass männliche Hausmäuse mit Gesängen um die Gunst der Weibchen werben, die Larven des Lilienhähnchens ihr Leben in einem »Kotsack« verbringen oder Rotkehlchen Ameisen als eine Art Deoroller benutzen. Und warum wird der Pirol auch Regenkatze genannt?
Eulberg und Garff schaffen es, eine neue Faszination für Lebewesen zu erzeugen, die von uns viel zu oft als selbstverständlich angesehen beziehungsweise mitunter gar nicht bemerkt werden. Die beiden fordern uns auf: Seht genau hin! Hört genau zu! Jedes Tier ist in seiner Wesenheit ein einzigartiges Kunstwerk. Selbst die von uns häufig mit Füßen getretene und als »fliegende Ratte« verpönte Stadttaube erfährt verdiente Wertschätzung: »Wir sollten Freund sein von allem, was lebt. Jedes Wesen hat seine Berechtigung in dem hochkomplexen Mechanismus der Natur, sonst würde es nicht existieren.« Und breche nur ein Zahnrädchen heraus, dann könne der ganze Mechanismus zum Stillstand kommen – der Artenschutz sei daher weit mehr als romantisches Gedankengut. Und somit ist das Werk der beiden Künstler nicht nur eine Verneigung vor dem Individuum, es soll uns auch dazu bringen, die Natur und ihre Vielfalt als Ganzes zu schützen. Dabei vermeidet Eulberg den Ton der Tragödie: »Wir wollen in diesem Buch unsere Mitmenschen durch positive Emotionen bewegen, etwas zum Schwingen bringen.« Das ist den beiden Künstlern gelungen.
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