»Triebhaft«: Abgründe in Nahaufnahme
»Die Triebtäter hier haben schwere Verbrechen begangen. Die sind extrem gewalttätig, aggressiv und gefährlich. Und ich bin wie Sie, einer von den Guten«, sagt »Neon« in seiner Therapiesitzung. Der Sicherungsverwahrte hält sich für charmant und witzig, künstlerisch hochbegabt und ein auserwähltes Geschöpf Gottes. Die brutalen Vergewaltigungen mehrerer Frauen seien »falsche Anschuldigungen«, und er sei ein »Opfer der Justiz«.
Als Psychologin in der Sicherungsverwahrung hat Gilda Giebel einige der gefährlichsten Männer Deutschlands therapiert: Narzissten wie »Neon«, Psychopathen wie »Titan« und Sadisten wie »Chrom«, die vergewaltigt, gequält und gemordet haben. Zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte tragen sie im Buch die Namen chemischer Elemente; Details zum Tathergang sind verfälscht.
Hätte ich das Opfer sein können?
Wir alle hätten das Bedürfnis, emotional aufwühlende Verbrechen einzuordnen, schreibt Giebel, deshalb seien Krimis so beliebt. Auch ihr Sachbuch ist eine durchaus packende Reise in die dunkelsten Abgründe der menschlichen Psyche. Sie beantwortet Fragen wie: Weshalb hat er so etwas Furchtbares getan? Hätte ich ihm auch zum Opfer fallen können? Gab es Warnzeichen? Anhand von Therapiegesprächen, Eindrücken und Erfahrungen offenbart Giebel die gefährlichen Persönlichkeitsstrukturen ihrer Klienten. Auch auf die »schwer zu beschreibende Ausstrahlung« mancher Verbrecher geht sie ein, das »gewisse Etwas«, das manche Narzissten und Psychopathen charismatisch und attraktiv wirken lässt – ein Thema, dem sich Giebel in ihrer Doktorarbeit gewidmet hat.
Nicht überspringen sollte man den Epilog, in dem die Autorin beschreibt, welche Spuren die Arbeit in der Sicherungsverwahrung bei ihr selbst hinterlassen haben – schade, dass diesem Aspekt im Buch vergleichbar wenig Raum gegeben wird. Dennoch ist »Triebhaft« insgesamt eine hochspannende Lektüre und allen zu empfehlen, die sich gern den Schauer des »True Crime« über den Rücken jagen lassen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben