Wasserwelt
Wer Anfang des Jahres das Wort »Pazifik« in die Suchmaschine eingab, bekam als erste Treffer nicht etwa Surferwelten mit Monsterwellen, Südseeparadiese mit Traumstränden oder Piratengeschichten. Die Überschriften lauteten: coronafreie Inseln. Wie lange das so bleibt, ist ungewiss. Neuseeland kämpft gerade mit einem neuen Covid-19-Ausbruch.
Die bei Urlaubsreisenden beliebte Region ist schon seit dem 16. Jahrhundert von Europäern regelrecht heimgesucht worden, die nicht nur als Forscher kamen, sondern auch als Händler – auf der Jagd nach profitablen Geschäften mit Walöl, Gewürzen oder Pelzen. Menschen aus Europa und Amerika brachten Krankheiten mit, die unter den Indigenen verheerend wüteten und ganze Populationen auslöschten; sie veränderten Gesellschaften, zerstörten Ökosysteme, verschleppten Menschen und warfen Atombomben testweise auf haiwaiianische Inseln – und im Kriegseinsatz auf zwei japanische Städte. Heute kommt noch der Klimawandel hinzu, in dessen Zuge zahlreiche Inseln überflutet werden.
Zwei Drittel der Erdoberfläche
Daher ist es gut, dass der Autor Philip Hatfield in diesem Buch an die Geschichte der Inselwelten erinnert, auch wenn er nur einen kleinen Überblick geben kann, denn schon aus geografischer Sicht ist die Welt des Pazifiks riesig. Sie belegt etwa zwei Drittel der Erdoberfläche – eine Welt voll Wasser, zu der unter anderem Neuseeland, Japan, Polynesien, die Küste Vancouvers, Malaysia, Australien, die Osterinseln, die Südsee mit Tahiti, die Tongaischen Inseln, Taiwan und die Weihnachtsinsel Kiritimati gehören.
Hatfield arbeitete als Kurator für die Britisch Library. Viele seiner Quellen stammen aus deren Sammlung; zumeist handelt es sich um Werke, die aus kolonialer Sichtweise verfasst sind. Der Autor schildert zwar die damit verbundenen, legendären Geschichten über die Reisen von James Cook, Charles Darwin, Ferdinand Magellan und Walter Raleigh, und er erzählt, wie der Pazifik zur »Amerikanischen See« wurde. Dennoch stehen bei ihm die indigenen Völker im Vordergrund. Hatfield schärft den Blick für das kulturelle Erbe der Inselwelten und ihrer Volksgruppen. Zwei einheimischen Frauen widmet er jeweils ein eigenes Kapitel. So befasst er sich mit der hawaiianischen Gelehrten Mary Kampa, die Geschichten und Legenden sammelte – wertvolle Arbeiten, die die Kolonisation überstanden und nun der regionalen Kultur helfen, auf den eigenen Wurzeln aufzubauen. Ähnlich identitätserhaltend war die Regentschaft der Königin Sālote Tupou III. in Tonga. Diese schaffte es, trotz britischen Protektorats die Geschichte und Kultur ihres Landes für die Zeit danach zu bewahren.
Mit dem Buch hat Hatfield einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, das Erbe der Inselwelten weiterzugeben und auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die ihnen drohen. Weil mit der Klimaerwärmung einige Inseln zu versinken drohen, hängt ihr Überleben auch von unserem Konsumverhalten ab. Der Autor appelliert an uns, dem entgegenzuwirken.
Mit zahlreichen faszinierenden Originalfotos, vielen Karten und Zeichnungen, die zum Blättern einladen, ist es ein wunderbarer Band geworden. Den diversen Themen widmet der Autor je zwei Seiten und immer eine ganzseitige Abbildung – ob es um die Statuen von Rapa Nui geht, um die Annexion Hawaiis, die Folgen der Missionsarbeit, um Forschungsreisende oder die Entdeckung des Surfens im Pazifik. Leider erweisen sich die Texte mitunter als zäh und wenig lesefreundlich, was sicher der Übersetzung aus dem Englischen geschuldet ist. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, erkundet quasi vom Schreibtisch aus ein Reich, das vielleicht bald unter Wasser liegt. Einige Inseln tun das schon jetzt.
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