Über die Tiefe geschrieben, doch nicht in diese gegangen
Aus Sicht des Menschen ist der Untergrund die Landschaft, der Fels und der Boden, auf dem wir leben und wirtschaften. So erscheint es logisch, das Buch damit zu beginnen, die Geologie als Wissenschaft zu betrachten und zu umreißen, welche Perspektive sie auf den Planeten Erde hat. Wie stellen sich moderne Geowissenschaftler dessen Struktur vor, wie kommen sie zu ihren Ergebnissen? Solche Fragen schneiden die Germanistinnen Jutta Gay und Inga Menkhoff zumindest an, beantworten sie mitunter auch recht ausführlich, etwa bei der Interpretation der Laufgeschwindigkeiten und -zeiten seismischer Wellen. Der wissenschaftsnahe Bucheinstieg weckt große Erwartungen an die Lektüre.
Im Folgenden widmen sich Gay und Menkhoff solchen Phänomenen wie Vulkanismus und Erdbeben. Dabei legen sie ihren Schwerpunkt auf Katastrophenszenarien der jüngeren Vergangenheit. Vulkanausbrüche sind oft zugleich spektakulär und verheerend, ebenso wie Erdbeben – weshalb beide ein dankbares Sujet abgeben. Doch der größte Teil der vom Menschen bewohnten kontinentalen Krusten besteht aus Sedimentgesteinen. Deren Bildung vollzieht sich auf größeren Längen- und Zeitskalen als vulkanische und seismische Phänomene und ist entsprechend weniger aufregend. Vielleicht deshalb behandeln die Autorinnen diese Prozesse recht knapp.
Zubetonieren, ohne nachzudenken
Weiter hinten nehmen sie den menschlichen Einfluss auf den Untergrund in den Blick. Sie beschreiben die land- und forstwirtschaftliche Bodennutzung und gehen auf die Versiegelung von Böden ein, ebenso auf die Errichtung von Tiefbauten, etwa Versorgungstunneln oder U-Bahnen. Erfreulicherweise artikulieren sie hier eine kritische Sicht – klar, aber nicht übertrieben oder gar reißerisch. Auch unternehmen sie Exkurse in die mythologischen Vorstellungen unter anderem der alten Ägypter und Griechen, den Untergrund betreffend. Anschaulich belegen sie, dass die gewandelte Auffassung vom Untergrund als einer negativ besetzten Unterwelt ein Produkt der jüngeren Menschheitsgeschichte ist.
Beinahe plauderhaft geschrieben, bietet das Werk eine erbauliche Lektüre. Gay und Menkhoff folgen einem klaren roten Faden. Mit Seitenblicken gestalten sie ihren Text spannend und abwechslungsreich, auch wenn sie sich dabei manchmal in Details verlieren. Die humanistische Bildung der Autorinnen tritt deutlich zu Tage. Positiv ist auch zu vermerken, dass das 300 Seiten starke Werk eine stattliche Zahl erstklassiger Fotografien bietet, viele davon in großem Format.
Darwin reiste nicht per Adler
Leider erweisen sich die Fakten nicht immer als korrekt. Viele Fehler lassen die Qualität des Inhalts hinter dessen Aufmachung zurücktreten. Der im Buch angegebene Name des Schiffs, mit dem der Naturforscher Charles Darwin (1809-1882) seine Forschungsreisen unternahm, mag noch ein Tippfehler sein: Es hieß "Beagle" und nicht "Eagle". Doch die häufige Verwechslung der Begriffe "Mineral", "Kristall" und chemisches "Element" lässt vermuten, dass Gay und Menkhoff das Thema nicht vollständig durchdrungen haben. Elementare Prozesse erörtern sie bisweilen mit erstaunlichen Patzern. So schreiben sie, der Atlantik würde aufgrund plattentektonischer Vorgänge verschwinden – dabei ist es derzeit der einzige Ozean, der sich kontinuierlich ausdehnt. Und wenn sie die Migration von Erdöl und Erdgas erklären, führen sie den als unkonventionelle Lagerung bezeichneten Spezialfall, dass Öl beziehungsweise Gas zunächst im Muttergestein verbleiben, irrtümlich als allgemeines Prinzip an.
Häufige Einschübe in den Text, farbig hinterlegt, liefern zusätzliche Informationen. Allerdings folgen diese keinem klaren Prinzip: Die Hintergrundfarbe trennt sie nicht immer deutlich vom Haupttext, auch sind die eingeschobenen Informationen mal recht oberflächlich und mal sehr detailliert. Die Bilder dazu gehen mitunter am Thema vorbei; so beschreibt ein Einschub die Richterskala zur Bestimmung von Erdbebenstärken, die zugehörige Grafik zeigt jedoch statt der zugehörigen Tabelle ein wenig aufschlussreiches Seismogramm.
Das Buch richtet sich gewiss nicht an Wissenschaftler, sondern eher an interessierte Laien. Deshalb ist die recht große Fehlerfülle durchaus kritisch, weil viele Leser die teilkorrekten oder falschen Informationen nicht als solche erkennen werden. Unterm Strich präsentiert sich das Werk daher als zwar schön gestaltetes Buch, dessen fachlicher Inhalt jedoch mit Vorsicht zu genießen ist.
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