»Urwelten«: Teleportation in die Erdgeschichte
Beinahe wäre unsere Welt schon vor langer Zeit untergegangen. Als vor 66 Millionen Jahren auf der Nordhalbkugel ein zehn Kilometer langer Felsbrocken hoch am Himmel erschien und mit einer Geschwindigkeit von tausenden Kilometern pro Sekunde in die flache See bei Chicxulub im heutigen mexikanischen Yucatán einschlug, bedeutete das den Beginn einer neuen Epoche für die Erde. Beim Aufprall zerbrach die Erdkruste, Magma spritzte in den Himmel, Wärmepulse setzten die Wälder rund um den Globus in Brand. Auf der dem Einschlag gegenüberliegenden Seite der Erde taten sich tiefe Risse im Indischen Ozean auf. Der Himmel verdunkelte sich für viele Jahre. Das Leben auf der Erde erfuhr eine tief greifende Zäsur, der nicht nur die Dinosaurier zum Opfer fielen.
So beschreibt Thomas Halliday in »Urwelten« eines der wohl signifikantesten Ereignisse der Erdgeschichte. Der Paläontologe und Evolutionsbiologe versteht es, seine Leser in jene Zeiten mitzunehmen, welche die Entwicklung des Lebens auf der Erde prägten. Dieses Leben gibt es seit rund vier Milliarden Jahren; und Leben, das größer ist als ein einzelliger Organismus, seit etwa zwei Milliarden Jahren. In dieser Zeit bildeten sich die unterschiedlichsten Lebensformen und Ökosysteme, die sich mal mehr und mal weniger von ihrem heutigen Erscheinungsbild unterschieden. Diese Urwelten lassen sich leider nicht mehr besuchen. Doch es gibt eine Menge Zeugnisse dafür, wie sie ausgesehen haben könnten.
Eine erkenntnisreiche Zeitreise
Diese fossilen Hinterlassenschaften sind eine Art Puzzle, die, zusammengesetzt, ein durchaus plausibles Bild der Urlandschaften des Blauen Planeten zeichnen. Halliday stellt uns diese geologischen Epochen erzählend vor. Er nimmt uns mit in die Jahrmilliarden ihrer Geologie und bringt uns faszinierende Ökosysteme nahe. Etwas überraschend beginnt er dabei mit der jüngeren Erdgeschichte, thematisiert die Schmelze der letzten Eiszeit. Dann arbeitet er sich durch die verschiedenen Epochen, bis er seine Erzählungen schließlich in der Zeit vor 550 Millionen Jahren mit einem Porträt des Ediacariums ausklingen lässt. In diesem Kapitel verlässt der Autor kurz die Erde, auf der sich das archaische Leben damals lediglich im Wasser abspielte, und schweift in den Weltraum. Man bekommt ein Gefühl für den damaligen Kosmos. So war damals der Mond 12 000 Kilometer näher an der Erde und leuchtete 15 Prozent heller als heute. Viele der Sterne, die wir derzeit am Firmament beobachten, waren noch nicht zu sehen, wie etwa der Polarstern, der erst in der Kreidezeit zu leuchten begann.
Hallidays Buch ist eine kurzweilige Reise durch die Erdgeschichte. Er versteht es, seine Leser in fremdartige Welten zu versetzen. Eine attraktive Ergänzung sind die Schwarz-Weiß-Zeichnungen zum Anfang eines jeden Kapitels. Sie zeigen zumeist die Bewohner, die lange vor dem Menschen die Erde bevölkerten. Ebenso gibt es Weltkarten; sie dokumentieren die Lage der Kontinente während der jeweiligen Erdepochen. Wer sich also ein Bild davon machen möchte, wie viele unterschiedlichste Wege die Natur über Jahrmillionen eingeschlagen hat, bis sie zu dem geworden ist, was wir heute vor Augen haben, der sollte es sich ruhig einmal mit den »Urwelten« gemütlich machen. Die Teleportation in die Erdgeschichte funktioniert – zumindest literarisch.
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