Zerstörte Schätze
Die Sprengung der Buddhas von Bamiyan, die Verwüstung historischer Kirchen und Moscheen im Kosovo oder – noch aktueller – die vielfache Entstellung und Zerstörung altorientalischer, christlicher und schiitischer Monumente durch IS-Terroristen im Irak und in Syrien: All das sind Beispiele von gezielter Kulturzerstörung, allein aus diesem Jahrtausend. Doch die Vernichtung von Bildern, Schriften und kulturellen Artefakten, die einer herrschenden Gruppe aus ideologischen oder politischen Gründen nicht genehm sind, haben eine Tradition, die sich bis in die Prähistorie zurückverfolgen lässt. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin, hat diese Geschichte in einem spannenden und sehr aktuellen Buch zusammengefasst.
2000 Jahre Kulturvernichtung
Trotz der Andeutung einer tiefer in die Vergangenheit zurückreichenden Geschichte konzentriert sich das Werk vornehmlich auf die letzten 2000 Jahre. Die Beschreibung ikonoklastischer Ereignisse im Altertum ist knapp gehalten, wodurch das Eingangskapitel fast wie ein zweites Vorwort wirkt. Tatsächlich befasst sich der größte Teil des Buchs mit Europa und den von Europäern in ihren Kolonien weltweit verursachten Verheerungen indigener Kulturzeugnisse. Von gewalttätigen Angriffen auf heidnische Tempel in der Spätantike über religiöse Unruhen vor und im Rahmen der Reformation bis zum kulturellen Genozid der Spanier an den Hochkulturen der Neuen Welt ist die Geschichte des Christentums voll von Bewegungen, die sich meist gegen bildliche Darstellungen wandten. Deren Existenz wurde als Götzendienst verfemt, selbst wenn es sich um christliche Motive handelte. Auch bei explizit säkularen Umwälzungen wie der Französischen oder der Russischen Revolution kam es zu verheerenden Zerstörungen, denen oft, aber nicht ausschließlich christliche Bildnisse zum Opfer fielen.
Die Kulturvernichtung des Naziregimes in Deutschland und den besetzten Gebieten beschreibt Parzinger durch drei Hauptaspekte: den ideologischen Feldzug gegen die moderne Kunst, die Vernichtung der jüdischen Kultur auf deutschem Gebiet und den versuchten Kulturgenozid in den eroberten Gebieten im Osten, namentlich Polen und der UdSSR.
Erst danach weitet der Autor seinen Blick auf Zerstörungen aus, die Herrschende in außereuropäischen Ländern an der eigenen Kultur vornahmen, und beschreibt die Kulturrevolution in China und das Regime der Roten Khmer in Kambodscha. Ein Kapitel ist ikonoklastischen Angriffen in der islamischen Welt gewidmet, die teilweise klare Parallelen zu christlichen Bilderstürmerbewegungen Europas aufzeigen. Parzinger weist dabei auf die Zerstörung durch Plünderungen sowohl nach dem letzten Irakkrieg als auch im Zuge des syrischen Bürgerkriegs hin – leider bedient er bei seiner Beschreibung des letzteren das unbelegte Klischee, dschihadistische Gruppen seien die Hauptprofiteure dieser Verwüstung. Tatsächlich ist nachgewiesen, dass sich alle Fraktionen des Syrienkonflikts gleichermaßen an Plünderungen beteiligen, um ihre Kriegskasse aufzubessern.
Das Thema islamistische Bilderstürmerei bietet sich in seiner Aktualität an, um die geschichtliche Betrachtung abzuschließen. Das Kapitel greift jedoch sogar bis zu den Wurzeln des Wahabismus im 18. Jahrhundert zurück. Derartige kleine Abweichungen von der chronologischen Ordnung zu Gunsten einer thematischen tun der Verständlichkeit des Buchs keinen Abbruch. Parzingers Schreibstil ist dynamisch und gut lesbar, wenn auch streckenweise recht akademisch für ein populärwissenschaftliches Werk.
Bei der Lektüre wird eines immer wieder klar: Selbst größte Fanatiker, politisch oder religiös, haben aus ihren Vernichtungszügen stets auch materiellen Nutzen gezogen – sei es durch das Einschmelzen von Gold oder durch den Verkauf religiöser Artefakte und verfemter Bilder auf dem internationalen Kunstmarkt. Nur wenn ein Objekt ausschließlich ideellen Wert hatte oder seine Vernichtung den Herrschenden politische Vorteile verschaffte, zerstörte man es ganz. Gerade unter diesem Aspekt stellt sich die Frage, warum Parzinger nicht näher auf die immer noch aktuellen Plünderungen archäologischer Stätten eingeht, die vom Antikenhandel getrieben werden – nicht nur im Irak und in Syrien, sondern weltweit. Trotz dieses Wermutstropfens ist das Buch empfehlenswert.
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