Potzblitz und Sapperment
Es ist allzu menschlich, dass einem nicht druckreife Gedanken durch den Kopf schießen, wenn man sich mit dem Hammer auf den Daumen gehauen hat. Schuld ist natürlich der verfl…te Hammer. Nun gehört Fluchen nicht zu den christlichen Tugenden, und zu gewissen Zeiten konnte man dafür schwer bestraft werden. Wie ändert sich das, wenn man den Namen Gottes beim Fluchen nicht direkt ausspricht? Sagt man etwa »Potzblitz« und »Sapperment« statt »Gottes Blitz« und »Sakrament«, dann kann das doch nicht so schlimm sein, oder?
Gotteslästerliche Zungensünden
Worte wie »Potzblitz« kennt man aus alten Romanen oder aus Filmen über alte Zeiten, aber die Hintergründe ihrer Geschichte als gotteslästerliche »Zungensünden« in ihrem kulturellen, religiösen und sozialen Umfeld sind oft nicht bekannt. An dieser Stelle könnte man sagen: Ja, schön zu wissen, aber heutzutage sind solche Kleinigkeiten doch kein Thema mehr.
Das neue Buch der Historikers Gerd Schwerhoff lehrt etwas anderes: Das Thema »Blasphemie« zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Beginnend in der antiken Kultur Griechenlands über die Bibel und den Koran bis in die Zeit der Aufklärung und in die beginnende moderne Gesellschaft hinein ist der Umgang mit der »Gotteslästerung« in der Gesellschaft immer eine virulente Frage gewesen.
Selbst heute. Beim Lesen des Buchs wird deutlich sichtbar, dass es im späten 20. Jahrhundert wieder eine Zäsur gegeben hat. Vor dem Jahr 1989 schien Blasphemie in der säkularisierten Moderne obsolet geworden zu sein. Nach dem Todesurteil gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie wegen seines Romans »Die satanischen Verse« durch Ayatollah Khomeini bekam das Thema aber plötzlich eine globale Dimension. Dem folgten Ereignisse: Die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung »Jyllands-Posten« im Jahr 2005, der Anschlag auf Charlie Hebdo 2015 und zuletzt der Mord am französischen Lehrer Samuel Paty zeigen, dass die Frage nach dem Umgang mit Blasphemie nicht nur auf einen singulären Fall beschränkt ist.
Schwerhoff bietet eine sachliche Aufarbeitung dieser Geschehnisse: Er versucht dabei nicht, grundlegende Differenzen des Konflikts in »westlicher« und »islamischer« Perspektive zu beschönigen oder kleinzureden. Er bietet aber auch keine einfachen Lösungen an, sondern stellt fest, das Thema bleibe auch in Zukunft brisant. Deshalb kann es nur von Vorteil sein, die Denkmuster zu verstehen, die hinter der Bewertung von Blasphemie, ob nun ablehnend oder befürwortend, stehen.
Der Gang durch die Geschichte der Blasphemie ist lang, aber Schwerhoff erzählt sie anschaulich. Für moderne Menschen ist es nicht immer einfach, sich in das antike oder mittelalterliche Welt- und Gottesbild hineinzudenken: Die Vorstellung, Gotteslästerung könne dazu führen, dass ein Gott eine ganze Gemeinschaft bestraft oder vernichtet, ist heutzutage schwer nachzuvollziehen.
Im weiteren Verlauf der Geschichte arbeitet Schwerhoff die unterschiedlichen religiösen und juristischen Aspekte des Themas auf. Der Leser erfährt dabei, wie sich Blasphemie zu einem Instrument der Macht entwickelte: Wenn Gott gelästert wird, dann lästert man damit den König oder den Adel, der schließlich von Gott eingesetzt wurde. Der Vorwurf und die Bestrafung der Blasphemie konnten somit auch ein Mittel der Staatsräson werden, um missliebige politische Gegner auszuschalten.
Gleiches galt für christliche Kirchen: Blasphemisch waren immer die anderen. Selbst vor der Todesstrafe wurde nicht zurückgeschreckt, wie im berühmten Fall von Michael Servetus, der auf Betreiben des Reformators Johannes Calvin wegen der Ablehnung der Dreieinigkeit Gottes und der Kindertaufe 1553 in Genf hingerichtet wurde.
Insgesamt ist das Buch von Schwerhoff lesenswert – vor allem, wenn man die Bruchlinien in den globalen Gesellschaften verstehen möchte.
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