Direkt zum Inhalt

»Vergessene Völker«: Verschollen in den Tiefen der Geschichte

Philip Matyszak erforscht die Ursprünge der Kulturen und die Entstehung früher Herrschaftsdynastien. Sein Buch ist spannend, kurzweilig und sehr gut illustriert.
Die Maske des Tutanchamun

Das erste Reich der Welt dürfte wohl von einem gelernten Gärtner regiert worden sein. Auch wenn das die Mythenbildung anders beschreibt. Denn der Sage nach war Sargon von Akkad der Sohn einer Priesterin, die ihn in einem Weidenkörbchen auf einem Fluss aussetzte. Ob nun Gärtner oder glücklicher Überlebender einer unfreiwilligen Flussfahrt, kann sicher nicht mehr geklärt werden. Sicher scheint aber zu sein, das Sargon (circa 2334–2779 v. Chr.) in Mesopotamien erstmals nachweislich Stämme, Städte und Königreiche zu dem Volk der Akkader verschmolz und ziemlich kriegerisch unterwegs war. Seine Akkader dominierten Mesopotamien und die sumerischen Stadtstaaten, die sie von der verschollenen Stadt Akkad aus beherrschten. Das ging 150 Jahre lang gut, bis die Akkader 2190 v. Chr. die Weltbühne verließen.

Echte Prominenz können die Akkader heute sicher nicht mehr für sich verbuchen. Zu dominant sind unsere Erinnerungen an legendäre Kulturen wie Römer, Assyrer und Ägypter. Deren Geschichte, ihre Monumente und Errungenschaften sind einfach viel zu präsent in unserem kollektiven Gedächtnis und den Geschichtsbüchern verankert. Ganz anders verhält es sich da mit den Völkern, deren Influencer-Aktivitäten über die Jahrtausende verpufften, deren Erbe aber immer noch in unserer heutigen Welt eine Rolle spielt. Wer erinnert sich heute noch an Bakten, Amoriter, die Hyksos oder eben die Akkader?

Die Ursprünge der Kulturen und die Entstehung früher Herrschaftsdynastien

Um diese in den Tiefen der Geschichte verschollenen Kulturen geht es Philip Matyszak in seinem Buch. Er stellt darin nicht weniger als 40 von ihnen vor. Spannend beschreibt er, warum es kein Zufall war, dass die ersten Zivilisationen in Mesopotamien an den Ufern von Euphrat und Tigris entstanden und wenig später am Nil in Ägypten. Sowohl in Ägypten als auch in Mesopotamien waren ertragreiche Ernten nur durch Bewässerung möglich. Künstliche Bewässerung aber ist nur praktikabel, wenn große Menschenmengen zusammenarbeiten. Damals erzeugte man in diesen Regionen erstmals einen signifikanten Überschuss an Nahrungsmitteln. Damit konnten sogar die vielen hungrigen Mäuler in den langsam entstehenden Städten gestopft werden. Diese Keimzellen der Zivilisation wuchsen stetig, bis sich schließlich die ersten Völker und Großreiche ihre eigenen Identitäten schufen.

Philip Matyszaks Buch ist zwar ein Sachbuch, doch die Geschichten, die er darin präsentiert, lesen sich durchaus kurzweilig und spannend. Matyszak erzählt Mythen, etwa über König Midas und den berühmten Gordischen Knoten. Er erklärt, wie etwa die Philister zu ihrem schlechten Ruf kamen oder was es mit dem barmherzigen Samariter auf sich hat. Vieles davon hat man wahrscheinlich schon mal irgendwo gehört, durch die Lektüre kann man es nun besser in den historischen Kontext einordnen und lernt Hintergründe kennen.

Das Buch ist zudem sehr ansprechend gestaltet. Viele großformatige Abbildungen und freigestellte Fotos von Fundstücken aus den verschiedenen Epochen lockern die Lektüre angenehm auf. Vor allem aber fällt die professionelle Kartografie ins Auge. Jedes Kapitel beginnt mit einer gut strukturierten Übersichtskarte, welche die geografische Einordnung der Verbreitungsgebiete der jeweiligen Völker und Kulturen deutlich erleichtert. »Vergessene Völker« wird so zu einem ansprechenden Sachbuch für alle, die sich für den Ursprung der Kulturen und die Entstehung früher Herrschaftsdynastien interessieren.

Um doch noch einmal auf unseren tragischen Helden Sargon zurückzukommen: Als das amerikanische »Time Magazine« im Jahr 2003 eine Liste der 100 wichtigsten Personen der Geschichte veröffentlichte, suchte man darin vergebens den legendären Akkader als Gründer des ersten Reiches der Menschheit. Der ehrgeizige und streitbare Gärtner führt uns nur allzu deutlich vor Augen, wie vergänglich auch unsere Kultur sein dürfte.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Wann klingt eine Sprache schön?

Klingt Italienisch wirklich schöner als Deutsch? Sprachen haben für viele Ohren einen unterschiedlichen Klang, dabei gibt es kein wissenschaftliches Maß dafür. Was bedingt also die Schönheit einer Sprache? Außerdem in der aktuellen »Woche«: Rarer Fund aus frühkeltischer Zeit in Baden-Württemberg.

Spektrum Geschichte – Kleopatra und das mysteriöse Grab von Ephesos

Ein achteckiger Bau, mitten in Ephesos und angeblich das Grab einer ägyptischen Prinzessin? In dem Oktogon entspinnt sich ein historischer Krimi um Kleopatra, ihre Schwester und ihre römischen Liebhaber. Vor mehr als 2000 Jahren war ein Machtkampf um Ägypten auf Leben und Tod entbrannt.

Spektrum Kompakt – Altes Ägypten

Das antike Ägypten fasziniert viele Menschen bis heute. Doch wer gründete einst das Reich am Nil, was weiß man über den Bau der Pyramiden oder das Einbalsamieren der Toten? Alte Materialien und neue Technologien enthüllen Schritt für Schritt die Vergangenheit.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.