Auf Schädeln errichtet
Spätestens Dee Browns Bestseller "Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses" (1972, Original: Bury My Heart at Wounded Knee) schilderte auf plastische Weise die Tragödie, die den indigenen Völkern Nordamerikas im Zuge der weißen Landnahme widerfuhr. Der Luzerner Neuzeithistoriker Aram Mattioli hat das Thema nun in einer wissenschaftlich fundierten und erhellenden Studie aufgearbeitet. Er beschreibt das koloniale Unterdrückungssystem von der Ankunft der ersten europäischen Siedler im frühen 17. Jahrhundert bis zum Niedergang der indianischen Kulturen Ende des 19. Jahrhunderts, den bereits James Fenimore Cooper (1789-1851) in seinem "Lederstrumpf" beklagte.
Zunächst umreißt Mattioli die Geschichte der mehr als 500 indigenen Nationen, die einst verstreut in den Weiten zwischen Pazifik und Atlantik lebten. Sodann beleuchtet er, wie die unfreiwillige Kontaktnahme mit den Weißen verlief und welche Folgen sie hatte. Einmal mehr erweist sich, wie sehr dieser "Clash of Civilisations" mit Verdrängung, Unterwerfung und Dezimierung der Indigenen einherging. Die Native Americans, zeigt Mattioli, verloren nicht nur ihre angestammten Lebensräume, sondern auch ihre politische Autonomie, wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und kulturelle Selbstbestimmung.
Raubzug nach Westen
Kenntnisreich schildert der Autor die Schicksale einiger bedeutender Indianerstämme und deren Protagonisten. Er beleuchtet die Spannungen und Konflikte, die immer wieder an der "wandernden Grenze" der expandierenden USA aufflammten – dort, wo weiße Siedler in indianisches Territorium vorstießen. Das Schicksal nahm seinen Lauf, als Männer wie der 7. US-Präsident Andrew Jackson an die Macht kamen, die in den Indianern eine "minderwertige Rasse" sahen, deren "Verschwinden aus der menschlichen Familie keinen großen Verlust für die Welt" bedeute.
Um Platz für die weißen Siedler zu schaffen (von 1800 bis 1900 erhöhte sich deren Zahl von 5 auf 75 Millionen, während jene der Native Americans von 600.000 auf weniger als 240.000 zurückging), begann Washington damit, Gebiete "indianerfrei" zu machen. Den Anfang dieser ethnischen Säuberung markierte 1830 der "Indian Removal Act", der die Zwangsumsiedlung aller östlich des Mississippi lebenden Indianer in eigens dafür vorgesehene Reservate sanktionierte. Tausende wurden auf Leidensmärsche gezwungen, die sie Nunna daul Tsuny nannten, "den Pfad, auf dem sie weinten". Die Cherokee verloren beim "Trail of Tears" (1838) ein Viertel ihres Volks.
Aber das, so Mattioli, war erst der Anfang. 20 Jahre später formulierte der US-Indianerbeauftragte Luke Lea eine neue Politik, die darauf abzielte, restlos alle indigenen Gemeinschaften in Reservaten zwangsanzusiedeln. Anders, als die euphemistische Bezeichnung glauben machen soll, waren Reservate keine Schutzzonen, sondern Institutionen der kolonialen Fremdbestimmung. "Unter der strikten Kontrolle der Regierung sollten die nomadisierenden Büffeljäger in ihrem permanenten Zuhause sesshaft gemacht und zu Farmern umerzogen werden".
Ungleicher Kampf
Zahlreiche Stämme begehrten gegen die aggressive Landnahme auf, etwa die Lakota unter Führung Sitting Bulls oder die Apachen unter Geronimo. Doch sie hatten der weißen Siedlerlawine wenig entgegenzusetzen. Der traurige letzte Akt dieses Dramas war das Massaker der US-Kavallerie am Wounded Knee Creek (1890). Ihres Lands beraubt – 1898 beendete der Kongress mit dem "Curtis Act" auch formal die Souveränität der Indianer über Stammesland –, blieb Amerikas Ureinwohnern nur die Endstation des Reservats.
Mattioli bringt die Folgen der kontinuierlichen Westexpansion anschaulich und einprägsam zur Sprache. Aus einer Fülle von Quellen und Literatur schöpfend, legt er aufschlussreich dar, wie die weißen Ankömmlinge durch den Ausbau eines transkontinentalen Eisenbahn- und Telegrafennetzes die Lebenswelt der Indigenen zum Einsturz brachten. Diese "globale Offensive gegen tribale Lebensformen" entzog den Indianern sukzessive die Lebensgrundlage – durch Abholzen von Wäldern, Abbau von Rohstoffen und fast völlige Ausrottung der Bisonherden. Sie gipfelte im späten 19. Jahrhundert in einem Ethnozid, der alles Indianische an den Indianern ausmerzen und die "Wilden" zu "guten Amerikanern" umerziehen sollte.
Mattiolis Buch offenbart auf schonungslose Weise das Janusgesicht einer Republik, in der einerseits Menschenrechte und individuelle Freiheit verfassungsrechtlich verankert waren, zu deren Wesen aber andererseits eine rassistische Hautfarbenhierarchie gehörte. Wer das Werk gelesen hat, weiß nur zu gut, dass die oft heldenhaft verklärte Erschließung des Wilden Westens ein Mythos à la Hollywood ist, der mit der Wirklichkeit nichts gemein hat.
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