In die Tonne statt auf den Teller
6,7 Millionen Tonnen: So viele Lebensmittel werfen die Deutschen pro Jahr in den Müll (laut Bundeszentrum für Ernährung). Zum Vergleich: Die 140 Meter hohe und 230 Meter breite Cheops-Pyramide wiegt schätzungsweise 6,25 Millionen Tonnen. David Evans diskutiert in diesem Buch also ein hochaktuelles und wichtiges Thema. Er ist Sozialwissenschaftler und Research Fellow am Lehrstuhl für Nachhaltigen Verbrauch an der University of Manchester.
In den ersten beiden Kapiteln geht Evans auf den Forschungsstand zum Thema Abfall ein. Dabei konstatiert er, dass in der Vergangenheit zwar intensiv Konsumforschung betrieben worden sei, die Abfallforschung jedoch weit außerhalb des Fokus der Sozialwissenschaften stehe. Es gebe zwar einige theoretische Studien – die der Autor auch behandelt –, jedoch mangele es an empirisch fundierten Darstellungen des Problems.
Vergessener Kühlschrankinhalt
Nach dieser Einleitung, die recht lang geraten ist, beginnt die Lektüre deutlich mehr Spaß zu machen, wenn Evans von seinen eigenen Feldforschungen berichtet. Er hat Familien in "zwei gewöhnlichen Straßen" Manchesters besucht und über acht Monate hinweg beim Einkaufen, Essenzubereiten und natürlich beim Entsorgen der Lebensmittel begleitet. Der Autor schafft es, die rational manchmal schwer zu erklärenden Handlungen der Studienteilnehmer zu schildern, ohne herablassend oder verurteilend zu klingen – etwa, wenn eine Frau einen älteren, jedoch genießbaren Brokkoli wegwirft, weil sie einen neuen, frischen gekauft hat. Als Leser(in) ertappt man sich regelmäßig selbst: Die Teilnehmer vergessen Obst in den Tiefen ihres Kühlschranks, geben angebrochene Soßenpackungen in den Müll und kaufen generell zu viel ein.
Kapitel für Kapitel zeigt Evans die Gründe auf, warum Menschen Lebensmittel verschwenden. So schildert er, wie insbesondere Mütter mit der "richtigen" Ernährung ihrer Familie kämpfen: Das täglich gekochte Gericht soll frisch, gesund und abwechslungsreich sein, aber auch nicht zu viel kosten, nicht zu viel Arbeit machen, nicht zu schwer zu besorgen sein und bei allen Familienmitgliedern auf Zuspruch stoßen. Diese Ansprüche sind manchmal schwer mit ökologisch orientiertem Verhalten vereinbar.
Ein weiterer Grund für die Verschwendung sind, dem Autor zufolge, Routinen. Familien kaufen jede Woche in etwa das Gleiche ein und berücksichtigen dabei häufig den Bestand im Kühlschrank nicht ausreichend. Zudem werfen viele lieber weg, als das Risiko einzugehen, etwas Verderbtes zu essen. Das führt oft zu überschießenden Handlungen – beispielsweise, wegen einer einzigen Erdbeere mit Flaumüberzug die ganze Schale in den Müll zu geben.
Essen als Statussymbol
In den letzten Kapiteln widmet sich Evans der Frage, wie sich das übermäßige Wegwerfen eindämmen lässt, und hat bei den Studienteilnehmern viele gedankliche Hürden hierzu beobachtet. Eine Mutter möchte ihrem Kind beispielsweise nicht den Nudelauflauf von gestern für die Schule einpacken, da sie Angst hat, das Kind könnte damit negativ auffallen. Ein Paar möchte das zu viel gekochte Abendessen nicht den Nachbarn anbieten, da es Angst davor hat, dass diese es nicht mögen oder sich darüber lustig machen.
Evans beleuchtet das Problem der Nahrungsmittelverschwendung von vielen Seiten und bringt den Probanden gegenüber dabei viel Verständnis auf. Regelmäßig betont er, das Wegwerfen von Essen sei für die Menschen ein angstbehafteter Prozess: Die Teilnehmer hätten ihm oft gesagt, dass es "falsch" sei, Nahrung zu verschwenden, dass sie sich "schuldig" fühlten oder ihnen "ganz furchtbar" zumute sei, wenn sie Lebensmittel in den Müll werfen. Evans klassifiziert das als "soziale Ängste"; die Leser empfinden dabei wohl eher das Gefühl eines schlechten Gewissens nach.
Leider hat Evans nur wenige Tipps dazu, wie private Haushalte ihr eingeschliffenes Verhalten ändern können. Auch Strategien, wie sich das Problem gesamtgesellschaftlich angehen lässt, kann er kaum bieten. Er verweist unter anderem auf zu große Packungen und schlägt vor, frisches Gemüse portioniert zu verkaufen – etwa wie beim Suppengrün in deutschen Supermärkten. Das allein wird aber kaum reichen, die Lebensmittelverschwendung in den Griff zu bekommen.
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