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Kampf gegen die Fakten

Ein Physiker behandelt skurrile Verschwörungstheorien, übersieht dabei aber das weit größere Problem der aktuell grassierenden Wissenschaftsfeindlichkeit.
Mann mit misstrauischem Gesichtsausdruck trägt einen Aluhut vor blauem Hintergrund.

Kürzlich feierten die Medien das 50. Jubiläum der ersten Mondlandung und zeigten mehrfach den legendären Fußabdruck von Neil Armstrong auf dem Erdtrabanten. Leider ist nicht nur diese großartige Kollektivleistung mehrere Jahrzehnte alt, sondern auch der Verschwörungsmythos, der sich um sie rankt. Er besagt, dass noch nie ein Mensch den Mond betreten habe und der Mondspaziergang in einem irdischen Filmstudio inszeniert worden sei. Man kann das entweder mit einem Achselzucken quittieren – oder sich darauf einlassen, es zu widerlegen.

Letzteres tut Holm Gero Hümmler im vorliegenden Buch. Der Physiker hat sich schon früher kritisch mit Esoterik auseinandergesetzt und befasst sich in seinem neuen Werk mit Verschwörungstheorien à la »Mondlandung im Filmatelier«. Mit Fleiß und Engelsgeduld zerlegt er ein Argument nach dem anderen, bis auch dem Letzten klar werden muss: Für den Mythos spricht gar nichts.

Von Gedankenkontrolle bis Reichsflugscheibe

Diese Arbeit macht sich Hümmler noch in fünf weiteren Fällen. Er widmet sich beispielsweise der Behauptung, den Einsturz des World Trade Center am 11. September 2001 hätten nicht Flugzeuge verursacht, die von Terroristen entführt und gegen die Türme gelenkt wurden, sondern Sprengsätze, die von geheimnisvoller Hand gelegt worden seien. Der Autor setzt sich gründlich mit den Behauptungen der so genannten Truther auseinander, die meinen, die Wahrheit (»truth«) über den Einsturz der Twin Towers gepachtet zu haben, und seziert sie faktenbasiert.

Abstruse Mythen ranken sich um eine Forschungsanlage namens HAARP (»High Frequency Active Auroral Research Program«), die vor Jahrzehnten in Alaska errichtet wurde. Sie umfasst ein Feld von 180 lotrechten Funkantennen, die Kurzwellen hoher Leistung aussenden können – mit dem Ziel, elektromagnetische Prozesse in der Ionosphäre zu untersuchen. Da HAARP mit Beteiligung des US-Militärs gebaut wurde, kursieren unter Verschwörungsgläubigen Gerüchte, es handle sich um eine Geheimwaffe, die Erdbeben oder Wetterkatastrophen auszulösen vermöge oder gar fähig sei, unsere Gedanken zu manipulieren. Dafür reichen allein schon die verfügbaren Energien bei Weitem nicht aus. HAARP, das zwischenzeitlich stillgelegt und später zu Forschungszwecken vermietet werden sollte, bietet eher das triste Schauspiel eines Projekts, das die anfangs gehegten Erwartungen, ob nun ziviler oder militärischer Art, enttäuscht hat.

Eine weitere Verschwörungstheorie hält die bei klarem Himmel sichtbaren Kondensstreifen von Verkehrsflugzeugen für so genannte Chemtrails – Spuren einer groß angelegten absichtlichen Vergiftung der Atmosphäre. Zweck sei wahlweise eine Beeinflussung des Klimas oder die weiträumige geheime Verbreitung von Impfstoffen oder bewusstseinsverändernden Drogen. Hümmler zeigt die Unsinnigkeit dieser Mär und schlägt vor, mittels eigener Beobachtungen von Wolken und Kondensstreifen dem Chemtrail-Mythos den Boden zu entziehen.

Es geht freilich noch bizarrer. Manche Leute glauben, in der Antarktis habe sich eine geheime Kolonie des NS-Regimes namens Neuschwabenland eingerichtet und erforsche dort Wunderwaffen, unter anderem eine so genannte Reichsflugscheibe, die einer fliegenden Untertasse gleichen soll. Wie Hümmler berichtet, gab es 1939 tatsächlich eine deutsche Expedition, bei der das Schiff »Schwabenland«, unterstützt von zwei Flugbooten, einen Teil der Antarktis kartografierte und durch abgeworfene Hakenkreuzfähnchen als »Neuschwabenland« für Nazideutschland beanspruchte. Diese Episode wird nun in esoterischen Kreisen weitergesponnen. Hümmler entkräftet Stück für Stück alle angeblichen Indizien dafür.

Am Ende klärt der Autor seine staunenden Leser über die Existenz zweier im Internet aktiver Forschungsgesellschaften auf, die den Beweis antreten möchten, dass die Erde eine flache Scheibe beziehungsweise eine Hohlkugel sei. Statt das einfach als Absurdität abzutun, zeichnet der Autor die historischen Vorläufer beider Weltmodelle nach und nennt geduldig Gründe, die dagegensprechen.

Hümmler spricht verschiedene Empfehlungen aus, wie mit Verschwörungsmythen und ihren Vertretern umzugehen sei. Es komme darauf an, die richtigen Fragen zu stellen, vor allem: Was wird eigentlich behauptet? Was kann ich selbst überprüfen? Wem darf man vertrauen? Zwar erwirbt sich der Autor damit durchaus Verdienste als fleißiger Mythenjäger, nur wirken seine sechs Beispiele wie aus der Zeit gefallen. Das Buch hätte er genauso auch schon vor 10 oder 20 Jahren schreiben können. Unberücksichtigt lässt er, was das Thema heute aktuell macht: dass nämlich länderübergreifend und von Populisten gefördert eine allgemeine Wissenschaftsfeindlichkeit um sich greift – nicht nur in den Echoräumen und Filterblasen des Internets.

Da wird die epidemiologisch nachweisbare Gefährdung durch Autoabgase mit falschen Zahlen und dem Argument bestritten, es sei noch nie ein Patient mit akuter Stickoxidvergiftung aufgetaucht. Da treten in den reichen Industrieländern plötzlich wieder gehäuft Masernfälle auf, weil Impfgegner Panik verbreiten. Da leugnen Politiker mit einer großen Wählerschaft hinter sich die Realität des menschengemachten Klimawandels und streuen systematisch Desinformation darüber.

Gegen die heute grassierenden, teils massiven Angriffe auf Wissenschaftler, und generell auf empirisches und faktenbasiertes Vorgehen, wirken Hümmlers antiquierte Beispiele eher skurril, versponnen und harmlos. Der Autor hat leider die Chance verpasst, sich mit der akuten Gefahr wissenschaftsfeindlicher Verschwörungsmythen auseinanderzusetzen.

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