Das Prinzip Verschwörung
Mit seinem Buch liefert Michael Blume, Beauftragter gegen Antisemitismus des Landes Baden-Württemberg, einen wichtigen Beitrag zu einer aktuellen Debatte. Sein Ansatz: Um den Gefahren des Verschwörungsglaubens entgegenzutreten, müssen wir die zu Grunde liegenden psychologischen und medialen Mechanismen erkennen und aufdecken.
Zu Beginn dekonstruiert er den Begriff »Verschwörungstheorie«. Dahinter verbergen sich eben keine überprüfbaren wissenschaftlichen Theorien, sondern Mythen, die als Haltegriff in einer Welt dienten, die als überfordernd und unbegreiflich wahrgenommen werde.
Platon lieferte den Ur-Verschwörungsmythos
Der Autor macht Platons Höhlengleichnis als Ur-Verschwörungsmythos aus, der unweigerlich in einen fatalen Dualismus führt. Darin werden Menschen in einer Höhle festgehalten und nehmen lediglich Schattenspiele an einer Höhlenwand wahr, die sie für die Wirklichkeit halten. Aus den Fängen jener, die ihnen die Welt vorgaukeln, können sie sich aber nicht selbst befreien. Es braucht einen Führer, der sie aus der Dunkelheit heraus zur Erkenntnis führt. Platons Gleichnis ist auch nach über 2000 Jahren aktuell: Nicht nur in Deutschland wächst das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Wissenschaft und Politik – und die Sorge, diese könnten ihr die Wahrheit vorenthalten. Starke Führer versichern, die Inszenierung zu durchschauen und ihre Anhänger aus der Unwissenheit zu befreien.
Im Anschluss untermalt Blume seine Ausführungen zu dualistischen Denkmustern anschaulich mit Befunden aus der Hirnforschung. Stimmen unser Denken und Handeln nicht überein, erzeugt das Alarmsignale im Gehirn. Diese lassen sich allerdings umgehen, indem wir Schuldgefühle auf andere abwälzen, das eigene Verhalten rechtfertigen und es als Konsequenz auf das böse Tun anderer begreifen. Nach diesem Prinzip funktionieren Verschwörungserzählungen.
Blume wagt in dem im Juni 2020 erschienenen Buch eine Prognose zur US-Wahl und bezeichnet die von ihm vorhergesagte Niederlage Trumps als Symbolbild für die »Manifestation der platonischen Höhle« und als »Sackgasse für neuzeitliche Entwürfe apokalyptischer Tyrannei«. Über allem steht mahnend die Aussage, wonach »weder Selberdenken noch Technologie, formale Bildung oder sublime Hochkultur vor dem Bösen schützen, in dem wir uns selbst verlieren können.« Anders ausgedrückt: Niemand ist gegen Verschwörungsmythen immun.
Blumes Buch ist empfehlenswert. Leicht verständlich, mit vielen historischen Exkursen und philosophischen Passagen vermittelt es bisher wenig beachtete Hintergründe und Erkenntnisse rund um das Thema Verschwörungsglauben – was immer wieder einen Aha-Effekt erzeugt. Nach einigen konkreten Vorschlägen, wie man Verschwörungsgläubigen entgegentreten sollte, schließt das Buch hoffnungsvoll: »Niemand muss in der platonischen Höhle verbleiben.« Eines allwissenden Führers, der uns das Licht zeigt, bedarf es dazu aber nicht.
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