Im Angesicht des Schreckens
Opulent präsentieren sich die apokalyptischen Visionen in diesem Werk – nicht nur, weil es mehr farbige Bild- als Textseiten enthält und sich an mittelalterliche Versionen der biblischen Johannes-Offenbarung anlehnt, die ebenfalls reich bebildert waren. Vor allem scheute der Verlag bei den bunten Illustrationen keinen Aufwand, seien es hochwertige Farben, seien es feine Details. Etwa in Form jener nonnenhaften, die Tugenden verkörpernden Damen, die auf nackten Frauen stehen und diesen Speere in die Münder drücken. Der Band stammt aus der Feder der beiden Kunsthistoriker Ulrike und David Ganz.
Die Offenbarung des Johannes ist das letzte Buch des Neuen Testaments und das einzige, das in die Zukunft blickt. Sein Autor war ein kleinasiatischer Wanderprediger um das Jahr 100 n. Chr., der wegen seiner Radikalität sowohl mit römischen Behörden als auch mit christlichen Gemeinden in Konflikt lag. Er schrieb den Text, um Gläubige zu belehren, und verlieh ihm die Form einer Offenbarung, die ihm Christus durch ein Buch mit sieben Siegeln gemacht habe. Sie habe ihm einen Blick in die Zukunft erlaubt, in der die Welt untergeht – als grausame Bestrafung der Sünder und himmlische Rettung der Märtyrer.
Die Lust am großen Finale
Um das Jahr 800 waren in der lateinischen Christenheit Endzeitvisionen sehr populär, so dass man sich besonders intensiv für die Offenbarung des Johannes interessierte. Schon zuvor waren Bibelausgaben bebildert worden, meist aber nur einzelne Bücher daraus und selten die ganze Heilige Schrift. Die Visionen des Johannes eigneten sich besonders gut zum Illustrieren.
Die älteste Bilderapokalypse stammt aus dem frühen 9. Jahrhundert, aus der Gegend von Trier. Sie gehört zu jenen 21 bebilderten Werken aus dem Mittelalter, die Ulrike und David Ganz in ihrem Band behandeln. Als letztes wenden sie sich einer Buchausgabe Albrecht Dürers zu, die um 1500 gedruckt wurde.
Benutzte man diese bebilderten Werke jahrhundertelang vor allem bei religiösen Zeremonien und Riten, oder als Prachtausgaben an den Höfen, so interessierten sich im Lauf des Mittelalters immer mehr reiche, gebildete Laien dafür. Es entstand ein wachsender Markt für Weltuntergangsliteratur. Aus diesem Grund druckte der junge Dürer, als er in Nürnberg seine Werkstatt eröffnete, als erstes eine bebilderte Apokalypse.
Im 12. Jahrhundert erschienen die ersten Ausgaben der Johannes-Offenbarung, die auf jeglichen Text verzichten, also reine Bilderbücher. Das erste stammt vermutlich aus der Schwarzwaldabtei St. Blasien. Die immer opulentere Bebilderung ging mit intensiver werdenden apokalyptischen Erwartungen einher. Seit dem 13. Jahrhundert wurde der Weltuntergang zunehmend als konkrete Zukunftsvision gedeutet.
Schwierige Materie
Die komplizierten wissenschaftlichen Erläuterungen der Autoren machen die Lektüre des Bands nicht leicht. Leser, die in mittelalterlicher Bildersprache eher unbeschlagen sind, können sich daher kaum auf die Betrachtung der beeindruckenden Abbildungen konzentrieren – müssen sie doch, um die Symboliken zu verstehen, die Erklärungen lesen.
Das schöne, aber schwierige Werk lehrt, dass die heutige mediale Bilderflut eine lange Vorgeschichte hat, in der die Schriftkultur mehr und mehr visualisiert wurde. Auch die Grausamkeit moderner Bildwelten war bereits im Mittelalter angelegt, ganz zu schweigen natürlich vom apokalyptischen Denken, das sich trotz Aufklärung bis heute großer Verbreitung erfreut.
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