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»Vom Universum des Denkens«: Von Aristoteles bis Zadeh

Das neue Buch des Mathematikers und Physikers Wolfgang Tschirk ist keine leichte Kost. Aber das kann die Geistesgeschichte der Logik auch kaum sein. Eine Rezension
Mathematiker aus Silizium (Symbolbild)

»Dabei wäre, um mit dem Physiker Lichtenberg zu sprechen, den Menschen mehr geholfen, würde man sie lehren, ›wie sie denken sollen, und nicht ewighin, was sie denken sollen‹.« Damit schließt der Mathematiker und Physiker Wolfgang Tschirk sein Buch und stellt fest, dass die philosophische Disziplin der Logik – trotz ihrer universellen Bedeutung – in den Lehrplänen von Schulen und Universitäten sowie in den Wissenschaftsbeiträgen von Zeitschriften und Fernsehen nur eine rudimentäre Rolle spielt.

Von der Syllogistik zur Fuzzy-Logik

Die Geistesgeschichte der Logik beginnt, nicht nur bei Tschirk, mit den alten Griechen. Aristoteles gilt als der Begründer der Logik, er hat eine vollständige Theorie des logischen Schließens entwickelt, die so genannte Syllogistik. Dafür hat er Schlussregeln (Syllogismen) formuliert, die nach einem festen Schema aus zwei Prämissen zu einer Konklusion führen. Diese Theorie schuf Aristoteles einerseits als Hilfsmittel für seine weit gestreuten wissenschaftlichen Interessen, andererseits, um in der antiken wissenschaftlichen Disziplin der Rhetorik zu schulen. Bis heute – so schreibt der Autor – wird nicht nur in populären, sondern auch in wissenschaftlichen Darstellungen ein berühmtes Beispiel für einen Syllogismus von Aristoteles zitiert: »Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch; daher ist Sokrates sterblich.« Diese Theorie beherrschte das logische Denken für viele Jahrhunderte: Weder zur Zeit der Römer noch im Mittelalter wurden hier wesentliche neue Ergebnisse gefunden. Die Scholastik des Mittelalters nutzte zwar die Methode von Aristoteles, wendete sie besonders auf theologische Fragen an (»Gottesbeweise«), entwickelte sie jedoch nicht weiter.

Erstaunlich, dass die aristotelischen Erkenntnisse das Weltbild so lange bestimmt haben, wurde doch schon in der Antike, eine Generation nach Aristoteles, von der griechischen Philosophen-Schule der Stoa eine Logik geschaffen, die man als Vorläufer der modernen Aussagenlogik ansehen muss. Sie untersuchte Sätze, die wahr oder falsch sind, und zusammengesetzte Aussagen. Die Verneinung (Negation), die Und-Verknüpfung (Konjunktion), die Oder-Verknüpfung (Disjunktion) und die Wenn-dann-Verknüpfung (Konditional) haben die Stoiker diskutiert und schließlich genauso wie in der modernen Logik definiert.

Wohl jedes moderne Lehrbuch der Logik beginnt, so Tschirk, mit der Aussagenlogik. Diese unterscheidet sich von der alten im Wesentlichen darin, dass sie eine symbolische Notation verwendet. In der Mathematik hatten sich schon im 17. und 18. Jahrhundert Schreibweisen vereinheitlicht. Leibniz, der in der Analysis dazu beigetragen hatte, wollte auch in der Philosophie »das unscharfe Denken durch präzise Arithmetik« fassen. Aber erst im 19. Jahrhundert ist der englische Mathematiker und Philosoph George Boole einen bedeutenden Schritt dahin gegangen. Die nach ihm benannte Algebra hat sich im Zeitalter des Computers in Form der Schaltalgebra als sehr nützlich erwiesen.

Etwas qualitativ Neues hat Ende des 19. Jahrhunderts der deutsche Mathematiker Gottlob Frege geschaffen: die so genannte Prädikatenlogik. In seiner »Begriffsschrift« ergänzt er die Aussagenlogik um Quantoren, begründet sie ausgehend von einem Axiomensystem und schafft zudem eine eigene Formelsprache (die sich allerdings nicht durchgesetzt hat). Nach Tschirk gilt Freges Arbeit als »erstes umfassendes System der formalen Logik und als größter Schritt seit Aristoteles«.

Anlass für Freges logische Untersuchungen war sein Bestreben, aus der Logik heraus unabhängig von der Anschauung eine Grundlage der Mathematik zu schaffen. Auf ihn aufbauend haben im 20. Jahrhundert Mathematiker und Philosophen, zunächst Russell und Whitehead mit ihrem Hauptwerk »Principia Mathematica« und dann weiter Hilbert, Tarski und Gödel, das logische Fundament der Mathematik geschaffen. »Heute steht die mathematische Logik beinahe synonym für die Logik als Ganzes. Was man nicht berechnen kann, ist weitgehend als Metaphysik entsorgt.«

Anschließend diskutiert Tschirk, warum neben diesen beiden grundlegenden Theorien der Aussagen- und Prädikatenlogik weitere Varianten logischer Lehrmeinungen entwickelt wurden. Sätze können beispielsweise nicht nur nach den Kriterien »wahr« oder »falsch« charakterisiert werden, sondern auch nach »möglich« oder »notwendig«. Schon bei Aristoteles finden sich erste Überlegungen zu diesem heute als Modallogik bezeichneten Zweig. Nachdem es im Lauf der Geschichte immer wieder Ansätze dazu gegeben hat, wurden im 20. Jahrhundert komplette Theorien entwickelt.

Weitere Typen von Logik lassen mehr als nur die zwei Wahrheitswerte »wahr« und »falsch« zu. Als Beispiel dafür stellt der Autor den von dem polnischen Mathematiker und Philosophen Ignacy Łukasiewicz vorgeschlagenen Weg mit dem dritten Wahrheitswert »unbestimmt« vor. Das ermöglicht, auch Prognosen, die in der traditionellen Aussagenlogik nicht zu den Aussagen zählen (da man sie im Vorhinein nicht als wahr oder falsch kennzeichnen kann), mit in die neue Aussagenlogik aufzunehmen. Zudem erwähnt Tschirk die Fuzzy-Logik des aserbeidschanisch-amerikanischen Informatikers Lotfi Zadeh. In ihr wird Aussagen ein Wahrheitswert zwischen 0 und 1 zugewiesen. Diese Logik wird heute unter anderem in der Regelungstechnik und der künstlichen Intelligenz eingesetzt.

Tschirks Buch liest sich nicht leicht, auch wenn der Autor die Theorien immer wieder an sehr gut gewählten Beispielen verdeutlicht und seine Argumentation sehr klar und überzeugend ist. Angesichts der Kürze hat er die Geistesgeschichte der Logik mit der doch notwendigen Ausführlichkeit ganz trefflich abgehandelt – das Studieren des Buchs erfordert aber ein intensives Lesen und Mitdenken.

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