»Von Angesicht zu Angesicht«: Die faszinierende Welt unserer Insekten
Die einen finden sie abstoßend, die anderen sind fasziniert: Menschen reagieren sehr unterschiedlich auf Insekten – und so werden wohl auch die Reaktionen auf das Buch »Von Angesicht zu Angesicht« sehr unterschiedlich ausfallen. Darin haben der Künstler Dominik Eulberg, der Makrofotograf Thorben Danke und der Insektenforscher Thomas Hörren in Bild und Text die heimische Insektenwelt porträtiert.
Ein behaartes Bein, Kauwerkzeuge, ein Facettenauge und ein langer Fühler begrüßen einen schon auf der Titelseite. Grimmig wirkt der Schwarzfleckige Zangenbock aus dieser Perspektive. Wenige Seiten später, aus einer anderen Perspektive, erscheint das Tier neugierig und – ja – fast kuschelig. Es sind diese sonst verborgenen Details und die emotionalen Widersprüche, die von den Makroaufnahmen erzeugt werden und einen Teil der Faszination dieses aufwendig gestalteten Bildbandes ausmachen. Doch auch die Fakten zur Insektenwelt, die in längeren Textabschnitten immer wieder eingestreut sind, ziehen Leserinnen und Leser in ihren Bann.
Künstlerisch ist das Buch sehr ansprechend gestaltet. Bereits vor der Einleitung führen neun farblich sortierte Seiten durch die Farbenvielfalt der Insektenwelt. Schon hier erschließt sich, dass sich selbst Tiere mit gleichen Farbmustern in Form und Größe erstaunlich unterscheiden. Die sonst oft seitenfüllenden Makrofotografien zeigen manchmal nur Ausschnitte eines Insekts, die so fast wie abstrakte Kunst wirken, dann wieder ein Tier in seiner Gesamtheit, die man wie ein Kunstwerk Detail für Detail studieren möchte.
Fantastische Sprinter und achtbeinige Feinde
Obwohl der Textanteil des Buchs deutlich unter 50 Prozent liegt, könnte man fast von einem Kompendium sprechen. Eingangs präsentiert es die Grundlagen zu Körperbau und Vielfalt der Insekten. Schon hier vermittelt es Detailwissen, das weit über die Inhalte des Biologieunterrichts hinausgeht. Man lernt einen winzigen Käfer kennen, der nur 0,45 Millimeter lang wird, oder das breite Spektrum an Insektennahrung, das von Bakterienfilmen über Pilzmyzelien und Amphibien bis hin zu Exkrementen reicht.
Jeder Ordnung mit ihren Familien ist ein eigener Abschnitt gewidmet. Jeder von ihnen verbindet Allgemeines, Besonderes und natürlich aufmerksamkeitsstarke Fotos. Wer hätte gewusst, dass es 1500 regionale Bezeichnungen für Marienkäfer gibt? Dass deren zuerst geschlüpfte Larven noch nicht geschlüpfte Artgenossen fressen? Oder dass der Asiatische Marienkäfer aufgrund seiner Parasiten den heimischen Arten zum Verhängnis werden kann?
Schwer zu sagen, ob die Fotos oder die erstaunlichen Fähigkeiten der Tiere einen mehr faszinieren. Der Dünen-Sandlaufkäfer etwa rennt in der Sekunde die 120-fache Strecke seiner eigenen Körperlänge. Das ist so schnell, dass er dadurch nicht mehr klar sehen kann und immer wieder Orientierungsstopps einlegen muss, um zu schauen, wo sich seine potenzielle Beute eigentlich gerade befindet. Dabei verhindern seine Fühler und seine ausgezeichneten Reflexe, dass der kleine Sprinter mit Hindernissen kollidiert.
Den Klimawandel, der etwa mit dem Goldglänzenden Rosenkäfer nicht nur Verlierer, sondern auch Profiteure hat, bezieht das Buch ebenso in die Darstellung ein wie das Insektensterben. Denn die Motivation, die seine drei Macher verbindet, teilen sie bereits ganz zu Anfang in Form eines Zitats der Umweltschützerin Rachel Carson mit: »Je klarer wir unsere Aufmerksamkeit auf die Wunder und die Realitäten des uns umgebenden Universums richten können, desto weniger Zerstörungslust werden wir empfinden.« »Von Angesicht zu Angesicht« funktioniert genau nach diesem Prinzip. Wer es liest, sollte sich die Zeit nehmen, die Bilder und Informationen in aller Ruhe zu bestaunen und so die Welt der Insekten mit neuen Augen zu sehen.
Wer übrigens bei gruseligen Insekten an Spinnen dachte: Die Achtbeiner zählen zu den Spinnentieren, nicht zu den Insekten. Und gruselig sind sie vor allem für die Sechsbeiner: Jedes Jahr fressen Spinnen weltweit zwischen 400 und 800 Millionen Tonnen Insekten – also etwa so viel, wie der Mensch im gleichen Zeitraum an Fisch und Fleisch verzehrt.
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