Gut gemeinte Technikskepsis
Der Neuropsychologe Lutz Jäncke von der Universität Zürich hat den negativen Folgen der Digitalisierung ein Buch gewidmet. Damit ist er nicht der Erste, und so steht nicht gerade Brandneues darin. Dass uns soziale Medien mit ihrem Dauerfeuer aus News, Posts und Statusmeldungen potenziell überfordern, dass Apps mit psychologischen Tricks arbeiten und das Wahre im Netz mitunter schwer vom Falschen zu unterscheiden ist – das wurde schon oft und auch pointierter geschrieben.
Das Besondere an Jänckes Darstellung ist die neurowissenschaftliche Fundierung. Hirngrafiken erklären etwa, welche Areale an Belohnung und Aufmerksamkeit beteiligt sind und wie die Impulskontrolle funktioniert. Laut dem Forscher sind wir (genauer gesagt unsere grauen Zellen) nicht dafür geschaffen, dauernd am Bildschirm zu kleben und auf einer endlosen Flut der Informationen zu surfen. Als Produkt der Steinzeit kapituliere unser Gehirn regelmäßig vor den neuen technologischen Möglichkeiten.
Doch das Problem an dieser evolutionspsychologischen Argumentation ist: Niemand weiß wirklich, wozu Mutter Natur uns genau befähigt hat oder wozu nicht. Die kulturelle Evolution hat sich von der biologischen abgekoppelt. So ist der Mensch sicher ebenfalls nicht dazu geschaffen, sich mit mehr als 30 Stundenkilometern fortzubewegen oder weltumspannende Freundschaften zu pflegen. Na und?
Wäre es denn besser, technologisch auf der Stelle zu treten?
Wenn der Autor betont, digitale Medien würden eine unserer großen Schwächen ausnutzen, nämlich den Hang zur Bequemlichkeit, dann fragt man sich: Welchen Zweck soll Technik sonst haben, wenn nicht den, uns das Leben zu erleichtern? Was genau ist daran verkehrt – und sollen wir zurück zur guten alten Zeit oder technologisch auf der Stelle treten, weil das hirngerechter sei?
So schüttet Jänckes Digitalisierungskritik das Kind mit dem Bade aus. Er gibt zwar gut gemeinte, aber letztlich wohlfeile Tipps wie die, man solle digital auch mal abschalten, Informationen und Selbstdarstellungen im Web nicht zu wichtig nehmen und vor allem kritisch bleiben. Wer damit ernst macht und dieses Buch kritisch liest, dem stellen sich eine Menge Fragen.
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