»Von Rotze bis Kotze«: Von Krokodilstränen und anderen Körpersäften
Pipi-Kacka-Pupsi-Witze machen aus jeder noch so lahmen Kinderparty einen Haufen bestens gelaunter Kids. Gleiche Effekte werden allerdings auch bei entsprechenden Büttenreden auf Karnevalssitzungen zu später Stunde beobachtet. Doch während es den meisten Erwachsenen nüchtern gesehen schon unangenehm ist, Worte wie »Pups« oder »Kacke« überhaupt auszusprechen, ist die kindliche Faszination für alle Arten menschlicher Ausscheidungen und Körperflüssigkeiten völlig normal. Mit ihrer großen Neugier auf körpereigene Vorgänge und den Witzen darüber verarbeiten Kinder ihre Unsicherheit bei Themen, die für viele Erwachsene immer noch schambehaftet sind und im wahrsten Sinne des Wortes hinter verschlossenen Türen gehalten werden.
Wie gut, dass sich immer mehr Kinderbücher Tabuthemen widmen. Das freut die Kinder und macht es Erwachsenen leichter, einen entspannteren Einstieg beim Reden über alle Arten von Körpersäften zu finden. Das Sachbuch »Von Rotze bis Kotze« der Medizinerin und Autorin Johanna Klement offenbart schon beim ersten Blick auf das vor Schleim, Rotz und Blut triefende, magensaftgelbe Cover und gleich darauf ins durchstrukturierte Inhaltsverzeichnis seine Mission. Es will unterhalten, mit kleinen Schockeffekten die Neugier wecken – aber auch als ernst gemeintes Nachschlagewerk Kinder durch die Grundschulzeit begleiten. Durch alle zehn Kapitel zieht sich die Kernbotschaft: Körperflüssigkeiten wie Tränen, Speichel, Nasenschleim oder Schweiß sind kluge Einfälle der Natur. Ohne ihre Superkräfte könnten wir nicht überleben. So ist beispielsweise Speichel schmerzlindernd, und Nasenrotz wehrt Krankheitserreger ab.
Auf fast 100 Seiten ergießt sich die umfangreiche Faktensammlung zu den Körpersäften. Neben der titelgebenden Rotze und Kotze werden auch Blut, Schweiß und Tränen historisch, gesellschaftlich, medizinisch und mit zahlreichen Funfacts verhandelt. In lockerem Layout mit ordentlich Weißraum beantworten kurze Texte im Plauderton Fragen wie: »Darf man Popel essen?« (ist eklig, aber nicht schädlich); »Warum ist Kotze so ätzend?« (weil die Magensäure darin unter anderem aus Salzsäure besteht) oder »Wie pinkeln Rennradfahrer?« (in Pausen, in voller Fahrt auf die Straße – oder sie machen einfach in die Hose). Der Erkenntnisgewinn ist stets hoch, denn Johanna Klement bereitet an vielen Stellen auch Wissen aus dem Tierreich auf. Das erweitert unseren Horizont über das Menschliche hinaus und entschlüsselt auch den Sinn mancher Redensarten. So ist die Spucke des Chamäleons 400-mal klebriger als unsere – damit die Beute auf der Zunge beim Zurückziehen in den Mund nicht herunterfällt. Und hinter dem Ausdruck »Krokodilstränen weinen« steckt die Tatsache, dass Krokodilen oft Tränen über die Wangen laufen, wenn sie ihre Beute verschlingen. Das ist aber kein Zeichen des Mitleids, sondern hat mit dem Druck auf die Tränendrüsen zu tun, der beim weiten Öffnen des Mauls entsteht.
Einfache Experimente laden zum Testen des erworbenen Wissens ein
Eine besondere Dynamik entwickelt das Buch, wenn es auf Wissenstransfer setzt und zum eigenen Experimentieren mit haushaltsüblichen Zutaten anregt. Welchen Anteil die Nase am Schmecken hat, lässt sich mit zugehaltenen Nasenlöchern und Löffeln voll mit Zucker und Zimt eindrücklich erfahren. Und was es fürs kindliche Herz heißt, minütlich zwei bis drei Liter Blut durch den Körper zu jagen, können Kinder nachvollziehen, wenn sie drei Liter Wasser binnen einer Minute mit einem kleinen Becher von einem vollen in einen leeren Eimer umfüllen.
»Von Rotze bis Kotze« ist lehrreich, unterhaltsam, witzig, manchmal eklig, dann wieder spektakulär – und dabei immer spannend zu lesen. Einen großen Anteil am Spaßfaktor des Buchs hat definitiv Karsten Teich mit seinen farblich zu den Themen passenden kotzgrünen, schweißgelben oder blutroten Illustrationen. Die kommen im typischen Teich-Style comicartig daher und bringen Eigenschaften und Handlungen von Mensch und Tier karikierend auf den Punkt. Teichs Bilder packen ihre Aussagen nicht in Watte und zeigen, was Sache ist. Damit passen sie perfekt zum Ton der Texte und dem Gesamtauftritt des Buchs: Teich zeichnet hämisch grinsende Rotzklümpchen, die nur darauf warten, in Nasen einzudringen, oder auch detailliert die Inhalte von Erbrochenem. Kombiniert mit den dazu passenden aberwitzigen Fakten ist das Ganze dennoch jederzeit gut verdaulich.
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