Auf dem Weg zur Weltmacht
Wenn vom Alten Ägypten die Rede ist, haben die meisten Menschen ein recht klares Bild vor Augen: Das Reich am Nil, von der Bronzezeit bis in die Spätantike eine Weltmacht. Pyramiden, Paläste, monumentale Statuen. Doch was kam davor? Wo liegen die Ursprünge der vier Jahrtausende überspannenden altägyptischen Hochkultur? Um interessierten Laien eine Antwort auf diese Fragen zu bieten, hat die Ägyptologin E. Christiana Köhler mit diesem Buch ein Porträt der ägyptischen Vor- und Frühgeschichte veröffentlicht.
Schon Jahrtausende vor der Reichseinigung gegen Ende des vierten Jahrtausends v. Chr. ließen sich im Niltal sesshafte Bauern nieder, deren materielle Hinterlassenschaften nicht weniger faszinieren als die Monumentalbauten der späteren Pharaonen. Anders als im Vorderen Orient macht die Erforschung der vorschriftlichen, also prähistorischen Epochen in Ägypten allerdings nur einen vergleichsweise kleinen Teil der archäologischen Arbeit aus. Das liegt unter anderem daran, dass das Neolithikum, also die Periode zwischen Sesshaftwerdung und Entstehung von Schrift und komplexen staatlichen Strukturen, hier wesentlich kürzer dauerte als in anderen Gegenden der Welt.
Vom Neolithikum zu den ersten Zentralherrschern
»Vor den Pyramiden« führt den Lesern eindrucksvoll vor Augen, dass die ägyptische Frühzeit durchaus Interesse verdient. Die Epochen zwischen dem ägyptischen Neolithikum und den ersten Zentralherrschern am Nil, also zwischen etwa 5400 und 2700 v. Chr., sind der Forschungsschwerpunkt mehrerer aktueller Ausgrabungen. Untersucht wird etwa die frühzeitliche Nekropole von Helwan bei Memphis, wo die Autorin, eine ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der ägyptischen Frühzeit, selbst tätig ist. Archäologen erforschen zwar schon lange auch die Relikte der Vorgängerkulturen des Pharaonenstaats, früher jedoch mit einem anderen Blick als heute. Köhler geht auf die Leistungen ebenso wie die Grenzen dieser frühen Archäologie ein und führt ihr Publikum so an die Möglichkeiten heran, die modernere Grabungsmethoden heutigen Prähistorikern bieten.
Statt historische Entwicklungen und Ereignisse chronologisch abzuarbeiten, untergliedert sich das Buch in thematische Kapitel, die unabhängig voneinander lesbar sind – etwa bezüglich der Bestattungstraditionen, der Entstehung der Hieroglyphenschrift, der Kunst oder der gesellschaftlichen Entwicklung der Frühzeit. Diese in sich abgeschlossenen Abschnitte zeigen, wie sich in den ägyptischen Kulturen des Neolithikums und des Chalkolithikums bereits einige Charakteristika der späteren Hochkultur formten und wie hier allmählich der älteste Flächenstaat der Menschheitsgeschichte entstand. Zahlreiche ebenso schöne wie aufschlussreiche Fotografien nebst farbigen Karten und Grafiken illustrieren und unterstützen den Text. Zusammen mit dem großen Format ergibt sich dadurch fast der Eindruck eines Bildbands.
Das Buch eignet sich allerdings nicht gut zum Schmökern, denn die Texte sind recht anspruchsvoll und streckenweise geradezu trocken. Für Laien ohne Vorkenntnisse, die einen spannenden Archäologie-Krimi suchen, ist es nicht die richtige Wahl – wohl aber für Menschen, die sich mit dem Thema bereits ein wenig auskennen und einen fundierten Überblick dazu suchen. Es bietet eine gut gegliederte Einführung in den aktuellen Stand der Archäologie zur ägyptischen Frühzeit.
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